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Montag, 24.10.2022 | Person: Melanie Bördner
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 22.09.2022 über drei Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden.
In den zuvor miteinander verbundenen Rechtssachen C-518/20 und C-727/20 hat der EuGH darauf erkannt, dass es zwar grundsätzlich zulässig ist, dass Urlaubsansprüche nach deutschem Recht nach 15 Monaten durchgehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit verfallen können. Dies könne jedenfalls nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auf seinen Urlaub hingewiesen und zur Inanspruchnahme seines Urlaubs aufgefordert hat. In der Rechtssache C-120/21 hat der EuGH zudem entscheiden, dass der Arbeitgeber zwar ein berechtigtes Interesse daran hat, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden. Dieses Interesse sei aber dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt hat, den Anspruch tatsächlich wahrzunehmen und er ihn auf seinen Anspruch und auf dessen Verfall nicht hingewiesen hat.
Dem Urteil des EuGH in den Rechtsachen C-518/20 und C-727/20 lagen folgende Fälle zugrunde:
Das Verfahren C-518/20 betraf einen Arbeitnehmer, der seit dem Jahr 2000 beschäftigt war, aber infolge einer schweren Behinderung seit Dezember 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bezog, die zuletzt bis zum 31.08.2022 verlängert wurde. Er erhob Klage auf Feststellung, dass ihm 34 Tage bezahlter Jahresurlaub aus dem Jahr 2014 zustünden, die er aufgrund seiner Erkrankung nicht in Anspruch nehmen konnte. Diese seien, da der Arbeitgeber seine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheit nicht erfüllt habe, nicht verfallen. Gegenstand der Rechtssache C-727/20 war der Urlaubsanspruch einer Arbeitnehmerin, die im Jahr 2017 arbeitsunfähig erkrankt war und ihren Jahresurlaub aus diesem Jahr bis dahin noch nicht voll genommen hatte. Auch hier hatte der Arbeitgeber sie nicht aufgefordert den Urlaub zu nehmen und nicht darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums gem. § 7 Abs. 3 BurlG verfallen kann. Auch sie erhob Klage auf Feststellung, dass ihr deshalb noch Urlaub für 2017 zustünde.
Dem Urteil in der Rechtssache C-120/21 lag der Fall zugrunde, dass der langjährig bis zum 31. Juli 2017 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt gewesene Arbeitnehmer nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses Abgeltung des zwischen 2013 und 2016 nicht genommenen Jahresurlaub begehrte. Hier hat das BAG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Bestimmungen der Richtlinie und der Charta einer Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf von drei Jahren entgegenstehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.
In seiner Entscheidung zu den Rechtssachen C-518/20 und C-727/20 führt der Gerichtshof aus, grundsätzlich habe er bereits erkannt, dass „in dem besonderen Zusammenhang, in dem der Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit gehindert war, seinen Anspruch auszuüben […] es nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen würde, wenn ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, berechtigt wäre, unbegrenzt alle während seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln“. Daher sei bei Vorliegen solcher „besonderer Umstände“ eine Regelung, nach der der Anspruch auf bezahlten Urlaub im Falle einer Ansammlung von Jahresurlaubsansprüchen aufgrund Langzeiterkrankung nach einem Übergangszeitraum von 15 Monaten erlöschen würde, grundsätzlich zulässig. Der EuGH stellt aber ausdrücklich klar, dass mit einem automatischen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub die Grenze verkannt werde, die von den Mitgliedstaaten zwingend einzuhalten sei, wenn sie die Modalitäten für die Ausübung dieses Anspruchs im Einzelnen festlegen. Insofern könne ein erworbener Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraumes und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht verfallen, wenn der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber nicht in die Lage versetzt würde, seinen Urlaub zu nehmen. Insofern „obliegt dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben“. Nach Auffassung des EuGH hat nämlich der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen.
Auch in der Rechtssache C-120/21 hat der EuGH darauf erkannt, dass der Arbeitgeber zwar ein berechtigtes Interesse daran hat, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden. Dieses Interesse sei jedoch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt hat, den Anspruch tatsächlich wahrzunehmen und ihn nicht auf seinen Anspruch und auf dessen Verfall hingewiesen hat.
Was das konkret für die Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer bedeutet, hängt nun davon ab, wie genau das BAG die Vorgaben des EuGH in den konkreten Fällen umsetzt. Es ist jedoch zu erwarten, dass die deutsche Rechtsprechung in den Fällen, in denen der Arbeitgeber seine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten bislang nicht erfüllt hat, dem EuGH folgen und für diese Fälle die Ansammlung von Urlaubsansprüchen über Jahre hinweg bejahen wird.
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