Montag, 06.07.2020

HOAI: BGH legt die Frage nach unmittelbarer Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie dem EUGH vor

Ein Beitrag von Lionel Patting
 
Der BGH hat mit Beschluss vom 14.05.2020 (Az. VII ZR 174/19) die Frage der Auswirkungen des sog. HOAI-Urteils des EuGH vom 04.07.2019 (Rs. C-377/17) – wir berichteten mit Beitrag vom 15.10.2019 – auf laufende Rechtsstreitigkeiten nicht entschieden, sondern die Sache dem EuGH vorgelegt.
 
Streit über Auswirkungen des HOAI-Urteils des EuGH
 
Nachdem der EuGH mit seinem HOAI-Urteil festgestellt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat, dass sie verbindliche Höchst- und Mindestsätze für Honorare für die Planungsleistung von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum ein Streit über die Auswirkungen des Urteils des EuGH für laufende Rechtsstreitigkeiten über Architektenhonorare entstanden.
 
Mehrere Oberlandesgerichte vertreten die Auffassung, die Entscheidung des EuGH entfalte unmittelbare Wirkung, weshalb der Mindestpreischarakter der HOAI in laufenden Rechtsstreitigkeiten nicht (mehr) zu berücksichtigen sei.
 
Demgegenüber halten einige andere Oberlandesgerichte die HOAI weiter für uneingeschränkt anwendbar. Es sei nicht Sache der Gerichte, sondern vielmehr des Gesetzgebers, die Vorgaben des EuGH umzusetzen. Dieser sei berufen, den Europarechtsverstoß durch die Schaffung neuer Regeln zu beenden.
 
EuGH muss über Vorlagefragen entscheiden
 
Der BGH hat mit Beschluss vom 14.05.2020 (Az. VII ZR 174/19) die Streitfrage nicht entschieden, sondern gemäß Art. 267 AEUV die Sache dem EuGH vorgelegt.
 
Im Wesentlichen geht es dabei um die drei folgenden Fragen, die nun der EuGH zu beantworten hat:
 
  1. Entfaltet Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen unmittelbare Wirkung, sodass die Regelungen in § 7 HOAI nicht mehr anzuwenden sind?
 
  1. Verstößt der Preisrahmen der HOAI gegen die in Art. 49 AEUV kodifizierte Niederlassungsfreiheit oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts?
 
  1. Wirkt sich dies bejahendenfalls auch in reinen Inlandsfällen aus?
 
Vorlagepflicht an den EuGH wegen Streit über Auswirkungen in Rechtsprechung und Literatur
 
Bereits die vom BGH formulierten Fragen lassen erkennen, dass der BGH nicht abgeneigt ist, die Mindestsätze weiter anzuwenden und dementsprechend auch weiterhin die Mindestsätze unterschreitende Vereinbarungen für unwirksam hält. Für entscheidend hält der BGH somit, ob die Dienstleistungsrichtlinie zwischen Privaten unmittelbare Anwendung findet – was angesichts der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ein überraschendes Ergebnis wäre – oder ob ggf. auch ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts gegeben ist. Letzteres hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom 04.07.2019 offengelassen bzw. nicht geprüft.
 
Als letztinstanzliches Gericht war der BGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV grds. zur Vorlage an den EuGH verpflichtet. Eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorlage hätte dann bestanden, wenn in Bezug auf die bestehende unionsrechtliche Frage bereits gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorgelegen hätte oder keinerlei Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung verblieben wäre. Beides war nach Auffassung des BGH nicht der Fall. Letzteres insbesondere wegen der kontroversen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf die Auswirkungen des HOAI-Urteils des EuGH auf laufende Rechtsstreitigkeiten.
 
Eine Klärung der Frage der Auswirkungen des EuGH steht damit weiterhin aus. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH entscheidet.