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Unbeachtlicher Motivirrtum bei fehlgeschlagener lenkender Ausschlagung der Erbschaft

Montag, 28.08.2023 | Person: Mark Wilmking

Der BGH hat mit Beschluss vom 22.03.2023 (Az. IV ZB 12,22) entschieden, dass im Falle eines Irrtums über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft im Falle einer sogenannten lenkenden Ausschlagung zukommt, kein zur Anfechtung berechtigender Irrtum, sondern lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum ist.

Sachverhalt

Der Erblasser verstarb am 03.07.2018 ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Im Rahmen des eingeleiteten Erbscheinverfahrens erstrebte die Beteiligte zu 1), die Witwe des Erblassers, eine Klärung der Erbfolge. Zuvor hatten sämtliche Abkömmlinge des Erblassers die Erbschaft formal ordnungsgemäß und fristgerecht ausgeschlagen. Im Rahmen des obigen Erbscheinverfahrens beantragte die Witwe des Erblassers daher einen Erbschein, durch den sie als Alleinerbin aufgrund der gesetzlichen Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Nachdem das Nachlassgericht indes die Witwe des Erblassers darauf hingewiesen hatte, dass sie gemäß § 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei, soweit weder Erben der ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden seien (was leider nicht der Fall war), focht eine der Abkömmlinge, nunmehr als Beteiligter des Erbscheinverfahrens, seine ursprüngliche Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtums an. In seiner Anfechtungserklärung führte er aus, dass er und die übrigen Geschwister die Erbschaft ausgeschlagen hätten, weil sie davon ausgegangen waren, dass die Witwe des Erblassers, ihre Mutter, Alleinerbin sei und damit auch als Alleineigentümer der Eigentumswohnung eingetragen werde. Nachdem nun der als Beteiligte zu 2) im Erbscheinverfahren geführte Abkömmling davon Kenntnis erhalten hatte, dass durch die Ausschlagungserklärung sämtliche Geschwister des Erblassers sowie dessen Halbgeschwistern (mit)erben, sah er sich einem Irrtum in Bezug auf seiner Ausschlagungserklärung unterlegen, die er damit anfechten wollte.

Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag zurück und begründete dies damit, dass die Anfechtung aufgrund eines unbeachtlichen Motivirrtums unwirksam sei. Nachdem die Witwe des Erblassers gegen die Entscheidung Beschwerde eingelegt hatte, entschied das Oberlandesgericht Hamm als Beschwerdegericht dahingehend, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird. Das Beschwerdegericht begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Anfechtungserklärung keine Wirksamkeit zeitige. Aus einer ex-post Sicht sei es augenscheinlich für den Beteiligten zu 2), einen der Abkömmlinge des Erblassers, so gewesen, dass er sich bei seiner Ausschlusserklärung in einem Rechtsirrtum befunden habe. Der Hinweis darauf, dass neben der Witwe des Erblassers nunmehr auch Erben zweiter Ordnung zur Erbfolge gelangen könnten, sei aus Rechtsgründen unbeachtlich, da es sich um einen Motivirrtum handele. Denn, so das Beschwerdegericht, der anfechtende Abkömmling habe als Ausschlagender nicht über die primäre Rechtsfolge (Verlust der Erbenstellung), sondern über eine weitere von Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge, nämlich den Anfall bei einer bestimmten Person, sich geirrt.

Entscheidung des BGH

Der BGH bestätigte die Entscheidung des Nachlassgerichtes sowie des Beschwerdegerichtes und stellte fest, dass der Beteiligte zu 2) als der ausschlagende Abkömmling, seine Miterbenstellung als gesetzlicher Miterbe durch die wirksame Ausschlagung rückwirkend verloren hatte. Die nach Hinweiserteilung des Nachlassgerichtes erfolgte Anfechtung hat auch nicht zu einem rückwirkenden Entfall der formwirksam und fristgerecht ausgesprochenen Ausschlagungserklärung geführt. Der BGH urteilte, dass für den Fall, dass sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person irrt, dies nur einen Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften darstellt. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Alt.1 BGB. Der Irrtum über die Person, der die Erbschaft dann zufällt, sobald eine Ausschlagung erklärt worden ist, stellt nur eine mittelbare Nebenfolge der Ausschlagungserklärung und damit lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.

Resümee

Mit der nun vorliegenden Entscheidung hat der BGH eine bislang streitige Frage unter den Oberlandesgerichten entschieden, ob eben ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugute kommt, ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum darstellt. Er hat dies im Ergebnis verneint. Der Beschluss war lange mit Spannung erwartet worden. Denn während das Oberlandesgericht Düsseldorf in zwei Entscheidungen im Jahre 2018 und 2019 entschieden hatte, dass ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 BGB vorliegt, wenn der (selbst rechtskundig Beratende) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebte Rechtswirkung, sondern ganz andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt, hatten dem gegenüber das Oberlandesgericht Hamm, das Oberlandesgericht  Frankfurt wie auch das Oberlandesgericht München davon abweichend und restriktiv geurteilt, dass ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugute kommt, lediglich einen Motivirrtum darstellt, der nicht zur Anfechtung berechtigen kann. Dieser restriktiven Rechtsauffassung hat der Bundesgerichtshof sich jetzt ausdrücklich angeschlossen.

Denn die lenkende Ausschlagung ist nicht unüblich in der Rechtspraxis, genauso wenig, wie mögliche Fehler hierbei, weil bei der Vorabprüfung eventuell die eine oder andere Konstellation übersehen wird, die dann zu nicht unerheblichen von der Beteiligten natürlich nicht gewünschten „Nebenwirkungen“ führen. Der Umstand, dass hier unterschiedliche Oberlandesgerichte verschiedene Rechtsauffassungen verfolgen, war im Zusammenhang mit der Beratung in diesem Zusammenhang dann mehr als unglücklich, sodass die Klarstellung des Bundesgerichtshofes hier jetzt natürlich sehr hilfreich ist. Unabhängig davon ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch im Hinblick auf die damit einhergehende Rechtssicherheit natürlich bedeutsam. Denn die Verneinung der Anfechtbarkeit trägt zur Stabilisierung des Erbschaftserwerbes bei. Denn wer über eine sog. „lenkenden Ausschlagung“ nachdenkt, erhält nunmehr einen zusätzlichen Anreiz, sich über die genauen Folgen und insbesondere das eintretende Ergebnis vorab mehr als ausreichend zu informieren, weil nunmehr die Möglichkeit einer „Korrektur“ eines möglichen Fehlers in der rechtlichen Bewertung über eine Anfechtung durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes entfällt.

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