Mittwoch, 12.12.2018

Mietrecht: Lebenslanges Wohnrecht im Grundstückskaufvertrag als Vertrag zu Gunsten Dritter – Grenzen des ordentlichen Kündigungsrechts des Vermieters
BGH, Urteil vom 14.11.2018, VIII ZR 109/18
 

Sachverhalt
 
In seinem Urteil vom 14.11.2018, VIII ZR 109/18, entschied der achte Zivilsenat des BGH über die Wirksamkeit einer Kündigungsausschlussklausel in einem Grundstückskaufvertrag, aufgrund derer sich der Grundstückskäufer gegenüber dem Verkäufer u.a. verpflichtete, keine Kündigung wegen Eigenbedarfs gegenüber den Mietern einer Wohnung des Kaufobjekts auszusprechen.
 
Die Beklagten mieteten die Erdgeschosswohnung eines mit zwei Wohnungen ausgestatteten sog. Siedlungshauses, dessen Eigentümerin die Stadt Bochum war. Der Beklagte zu 2) verfügt als ehemaliger Bergmann über einen sog. Bergmannsversorgungsschein. Nachdem die Beklagten die Mietwohnung etwa 30 Jahren bewohnten, veräußerte die Stadt Bochum das Grundstück an die Kläger, in dem notariellen Kaufvertrag heißt es u.a.: 
 
   „§ 2 b) Übernahme von Belastungen, Rechten und Pflichten
   (…)
   (4) Dem Käufer ist ferner bekannt, dass im Hause „H.“ eine Wohnung an die
   Eheleute (…) vermietet ist (Vertragsbeginn 16.06.1981). Die Mieter haben ein
   lebenslanges Wohnrecht. Der Käufer übernimmt das bestehende Mietverhältnis.
   Er darf insbesondere keine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder wegen der
   Behinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung aussprechen.
   Möglich ist lediglich eine Kündigung wegen erheblicher Verletzung der dem
   Mieter obliegenden vertraglichen Verpflichtungen. (…)

 
Im Weiteren sehen die kaufvertraglichen Bestimmungen ein näher geregeltes Wiederkaufsrecht der Stadt Bochum, welches zugleich durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert ist, vor, sofern der Kläger
 
    "ohne Zustimmung des Verkäufers oder ohne Vorliegen eines außerordentlichen
     Kündigungsgrundes das Mietverhältnis kündigt (...)".
 

Ferner sieht der Grundstückskaufvertrag u.a. ein Vorkaufsrecht zu Gunsten der Stadt Bochum nach § 1094 Abs. 1 BGB vor und eine Verpflichtung der Kläger –
 
   „sämtliche vorstehenden Verpflichtungen seinen etwaigen Rechtsnachfolgern
   im Grundbuch mit der Verpflichtung zur jeweiligen Weitergabe vertraglich
   aufzuerlegen.“


Zwischenzeitlich bezog einer der Kläger die weitere in dem Siedlungshaus befindliche Wohnung. Den Beklagten wurde sodann das Mietverhältnis nach § 573a Abs. 1 Satz 1 BGB gekündigt. Die Beklagten widersprachen der Kündigung. Die anschließend von den Klägern erhobene Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung wurde abgewiesen. Etwaige Rechtsmittel der Kläger blieben ohne Erfolg und wurden zurückgewiesen.
 
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
 
Grundstückskaufvertrag als Vertrag zugunsten Dritter
 
Der notarielle Grundstückskaufvertrag sei nach der Bewertung des Senats als echter Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB zu qualifizieren, durch den die Mieter als am Vertragsschluss nicht Beteiligte ein unmittelbares Recht erworben haben.
 
Lebenslanges Wohnrecht und keine Kündigung wegen Eigenbedarfs
 
Den Beklagten stehe gegenüber den Klägern bereits nach dem Wortlaut der Klausel ein lebenslanges Wohnrecht zu. Zudem entfalte auch die Kündigungsausschlussklausel unmittelbare Rechtswirkungen zugunsten der Beklagten, was sich aus ihrer Auslegung §§ 133, 157 BGB ergebe.
 
Der BGH betont im Rahmen der Auslegung die Schutzbedürftigkeit der Beklagten als langjährige Mieter, das Vorhandensein eines Bergmannsversorgungscheins des Beklagten zu 2), der der Anerkennung einer Schwerbehinderung entspreche, sowie den Umstand, dass die Veräußerung des Grundstücks durch einen dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichteten Eigentümer – der Stadt Bochum – erfolge. Das Auslegungsergebnis werde ferner dadurch gestützt, dass der Grundstückskaufvertrag ein Wiederkaufsrecht zu Gunsten der Stadt Bochum vorsehe, dessen dingliche Sicherung durch eine Rückauflassungsvormerkung erfolge und die Verpflichtung der Kläger zur Weitergabe sämtlicher Verpflichtungen an etwaige Rechtsnachfolger ebenfalls vertraglich abgesichert sei.
 
Keine Kündigung wegen sonstiger - ordentlicher Kündigungsgründe
 
Auch eine Kündigung nach § 573a Abs. 1 Satz 1 BGB, der dem Vermieter bei selbst bewohnten Zweifamilienhäusern ein Sonderkündigungsrecht einräumt, sei nach der verfahrensgegenständlichen Klausel, so die Ansicht des BGH, im gegebenen Fall ausgeschlossen. Die Ausschlussklausel sei aufgrund der Formulierung „insbesondere“ nicht abschließend. Zudem folge aus ihrem Regelungszusammenhang, dass lediglich die Kündigung wegen erheblicher Pflichtverletzungen des Mieters möglich sein solle.
 
Kündigungsausschlussklausel lässt außerordentliches Kündigungsrecht des Vermieters unberührt
 
Weiter ergebe sich aus der vertraglichen Bestimmung zum Wiederkaufrecht der Stadt Bochum nach Ansicht des BGH, dass den Klägern lediglich eine auf einer erheblichen Pflichtverletzung der Beklagten beruhende außerordentliche Kündigung möglich sein soll.
 
Kein Verstoß der Kündigungsausschlussklausel gegen AGB-Recht
 
Die Klausel unterliege einer unbeschränkten Inhaltskontrolle und stelle nach Ansicht BGH keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB dar.
 
- Kein Verstoß gegen das Transparenzgebot -
Die Ausschlussklausel lasse dem in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelten Transparenzgebot genügend unzweifelhaft erkennen, dass ein unmittelbarer Schutz der Mieter durch den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts bezweckt und die ordentliche Kündigung, soweit die Kündigung nicht auf Vertragsverletzungen der Mieter gestützt wird, ausgeschlossen sei.
 
- Angemessenheit der Kündigungsausschlussklausel -
Die Klausel sei nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auch angemessen, da etwaige Interessen des Vermieters und der Mieter ausreichend berücksichtigt werden. Die für die Kläger als Vermieter eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Mietobjekts werde dadurch relativiert, dass der Kündigungsausschluss in persönlicher und zeitlicher Hinsicht auf die Beklagten begrenzt sei und den Klägern die Kündigungsmöglichkeit wegen erheblicher Pflichtverletzungen der Beklagten verbleibe.
 
Zusammenfassung
 
Die Besonderheit eines Vertrages zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) besteht darin, dass ein am Vertragsschluss Unbeteiligter eigene und für ihn vorteilhafte Ansprüche und Rechte erwirbt, die er gegenüber dem sog. Versprechenden – vorliegend dem Grundstückskäufer –  des „Fremdvertrages“ unmittelbar geltend machen kann. Der Entscheidung des BGH dürfte vor allem eine Bedeutung im Bereich der Grundstückskaufverträge mit kommunalen Trägern zukommen. Wohnrechtsklauseln mit Kündigungsausschlusstatbeständen in Grundstückskaufverträgen, die sich auf besonders schutzwürdige Personenkreise beziehen, können grundsätzlich ein selbstständiges Leistungsrecht des begünstigten Personenkreises gegenüber dem Grundstückerwerber begründen. Der Grundstückskäufer ist hierbei nicht schutzlos, denn die Ausschlussklausel lässt das Recht des Vermieters zur außerordentlichen Kündigung unberührt. Kündigungsausschlussklausel bei lebenslangem Wohnrecht des Mieters verstoßen nicht per se gegen AGB-Recht.