Mittwoch, 04.10.2023

Fristlose Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe

Ein Beitrag von Melanie Bördner

Das BAG hat am 24.08.2023 (Az.: 2 AZR 17/23) entschieden, dass sich ein Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chat-Gruppe in stark beleidigender, rassistischen, sexistischen und zu Gewalt anstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Mitarbeitende äußert, nur im Ausnahmefall auf die Privatheit des Chats berufen kann, wenn der Arbeitgeber ein solches Verhalten zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nimmt.
 
I. Sachverhalt

Der gekündigte Arbeitnehmer war seit 2014 bei der beklagten Arbeitgeberin tätig. Mit zunächst fünf, später sechs Mitarbeitenden schrieb er in einer Chatgruppe. Alle waren nach den Feststellungen der Vorinstanzen „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt.
Neben rein privaten Themen äußerte sich der Arbeitnehmer in der Gruppe in beleidigender und menschenverachtender Weise auch über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Arbeitgeberin zufällig hiervon Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.
Während beide Vorinstanzen (ArbG Hannover Urt. v. 24.02.2022 – 10 Ca 147/21 und LAG Niedersachsen Urt. v. 19.12.2022 – 15 Sa 284/22) der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers stattgegeben hatten, hatte die beklagte Arbeitgeberin mit der Revision vor dem BAG Erfolg und erreichte eine Zurückweisung an das LAG Niedersachsen.
 
II. Entscheidung des BAG

Das BAG hält die Annahme der berechtigten Vertraulichkeitserwartung des Arbeitnehmers für rechtsfehlerhaft.
Es hat festgestellt, dass eine Vertraulichkeitserwartung nur dann gerechtfertigt sei, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Diese hinge von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der jeweiligen Chatgruppe ab. Sofern es sich bei den Nachrichten um beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige handelt, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer in berechtigter Weise erwarten konnte, dass der Inhalt dieser Nachrichten nicht an Dritte weitergegeben würde.
 
Das BAG hat das Urteil der Vorinstanz insoweit aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese wird dem Arbeitnehmer Gelegenheit für die Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.