Donnerstag, 17.09.2020

Ausgeschlagene Vermittlungsangebote der Arbeitsagentur während des laufenden Kündigungsschutzprozesses können den Annahmeverzugslohnanspruch mindern

Ein Beitrag von Jana Ross

Der 5. Senat des BAG hat in seinem Urteil vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Auskunft über die, von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge für den Arbeitnehmer hat, wenn dieser nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage Vergütung wegen Annahmeverzugs geltend macht. Diese Auskunft benötigt der Arbeitgeber regelmäßig, um die Einwendung des böswilligen Unterlassens anderweitiger Arbeit zu erheben.

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit

Gegen die Kündigung seines Arbeitgebers, wehrte sich der Arbeitnehmer, welcher beim Arbeitgeber seit über 20 Jahren als Bauhandwerker beschäftigt war, erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage. Während des laufenden Kündigungsschutzprozesses war die Kündigungsfrist ausgelaufen, sodass der Arbeitnehmer zunächst Arbeitslosengeld bezog, solange über die (Un)Wirksamkeit der Kündigung nicht entschieden war. Wird in einem solchen Fall später die Unwirksamkeit der Kündigung und damit der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt, steht dem Arbeitnehmer aber auch für die Zwischenzeit ein Zahlungsanspruch (regelmäßig) in Höhe der vereinbarten Vergütung zu, der sog. Annahmeverzugslohn. Im Anschluss an sein Obsiegen im Kündigungsschutzprozess erhob der Arbeitnehmer daher Klage auf Zahlung des Annahmeverzugslohns gem. § 615 S. 1 BGB i.V.m. § 11 KSchG für den Zeitraum zwischen der unwirksamen Kündigung und dem Erfolg der Kündigungsschutzklage.

Der Arbeitnehmer hat sich jedoch gem. § 615 BGB auf den Annahmeverzugslohn dasjenige anrechnen zu lassen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart, durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. D. h., nutzt der Arbeitnehmer in dieser Übergangsphase, in der er nicht für den Arbeitgeber tätig werden muss, während später dennoch einen Anspruch auf Zahlung der Vergütung festgestellt wird, seine Arbeitskraft anderweitig, soll er nicht besser stehen, als wenn er tatsächlich gearbeitet hätte und muss sich daher den Zwischenverdienst von seinem Vergütungsanspruch abziehen lassen. Selbiges gilt, wenn er eine Verdienstmöglichkeit gehabt hätte, diese aber böswillig ausgeschlagen hat. Ob ein solcher Sachverhalt vorlag, ist für den Arbeitgeber – wenn die Verdienstmöglichkeit nicht von ihm selbst dem Arbeitnehmer angetragen wurde – aber häufig schwerlich nachvollziehbar. Der Arbeitgeber erhob in diesem Fall daher Widerklage mit dem Begehren, Auskunft über etwaige zwischenzeitliche Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit zu erhalten, um eine Einwendung wegen böswilligen Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit gem. § 11 Nr. 2 KSchG zu ermöglichen.

Auskunftsanspruch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben § 242 BGB

Der 5. Senat stellte fest, dass nach Treu und Glauben ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers besteht, da der Arbeitgeber für die Einwendung des böswilligen Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit, welche die Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers abwehren könnten, die Auskünfte über ausgeschlagene Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit benötigt. Über diese ist er zudem auch entschuldbar im Ungewissen, da er durch das geschützte Sozialgeheimnis gem. § 35 SGB I von der Agentur keine Auskünfte erteilt bekommt. Anderweitig besteht für den Arbeitgeber keine Möglichkeit, Auskunft zu erlangen und dem Arbeitnehmer ist es überdies, mangels berechtigter entgegenstehender Interessen, zumutbar die Auskunft zu erteilen.

Kein Verstoß gegen die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast

Das BAG erklärte, dass der materiell-rechtliche Auskunftsanspruch des Arbeitgebers auch kein Verstoß gegen die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess sei, wonach der Arbeitgeber grundsätzlich die Pflicht trägt, einen böswillig unterlassen Erwerb darzulegen und zu beweisen. Da allein die Ablehnung von Vermittlungsvorschlägen kein böswilliges Unterlassen anderweitiger Arbeit begründet, obliegt es vielmehr nach wie vor dem Arbeitgeber darzustellen, inwiefern die nicht wahrgenommenen Arbeitsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer zumutbar gewesen wären.

Umfang des Auskunftsanspruchs

Die Auskunft über die Vermittlungsangebote kann in Textform erfolgen und muss über Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung informieren.

Abwendung von bisheriger Rechtsprechung

Das BAG wendet sich mit diesem Urteil von der Entscheidung des 9. Senats vom 16.05.2000 (9 AZR 203/99) ab. Während damals eine nicht erfolgte Meldung beim Arbeitsamt nicht als böswilliges Unterlassen eingeordnet wurde, gilt heutzutage eine Meldeobliegenheit bei der Agentur für Arbeitssuchende gem. § 38 SGB III, welche laut des Urteils des 5. Senats auch bei der Auslegung des Begriffs des böswilligen Unterlassens berücksichtigt werden muss.