Donnerstag, 05.03.2020

Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig

Mit Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 erklärte das BVerfG das Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck der persönlichen Autonomie nach Auffassung des BVerfG das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht umfasse ferner die Freiheit hierfür auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Aus der Nichtigkeit des § 127 StGB folgt nicht, dass dem Gesetzgeber die Regulierung der Selbstmordhilfe verfassungsrechtlich untersagt ist. Er muss jedoch sicherstellen, dass das Recht des Einzelnen, sein Leben eigenverantwortlich zu beenden ausreichend Raum für Entwicklung und Umsetzung hat.
§ 217 StGB stellt die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Bei Verstößen drohen Geld- und Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. Hiergegen wendeten sich vor allem Vereine, die Suizidhilfe anbieten, Ärzte und im Bereich suizidbezogener Beratung tätige Rechtsanwälte.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben besteht in jeder Lebensphase

Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen des BVerfG zugrunde: Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und Freiheit sind grundlegende Prinzipien der Verfassungsordnung. Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden berührt wie keine andere Entscheidung die Identität und Individualität eines Menschen und ist von existentieller Bedeutung für dessen Persönlichkeit. Das Recht, sich selbst zu töten, besteht in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine Bewertung der Beweggründe des Suizidenten und inhaltliche Vorbestimmung stehen nicht in Einklang mit dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes, so dass eine Einengung des Schutzbereiches auf festgelegte Ursachen und Motive der angestrebten Selbsttötung, z. B. schwere Erkrankungen, nicht vorgenommen werden kann. Die Entscheidung des Einzelnen entzieht sich einer objektiven Bewertung und ist als Akt der autonomen Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Der zur Selbsttötung Entschlossene muss diese nicht begründen oder rechtfertigen.

Geschützt wird auch die Hilfe Dritter

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst auch die Suche und Inanspruchnahme angebotener Hilfe von Dritten, so das BVerfG weiter. Die Durchführung und damit Ausübung der geschützten freien Persönlichkeitsentfaltung sei in diesem Fall abhängig von der Mitwirkung Dritter. Das Grundgesetz schütze somit auch die Freiheit – insbesondere die Berufsfreiheit und das Freiheitsrecht – der Personen und Vereinigungen, die Sterbehilfe anbieten. Als Adressaten der Norm würde ihnen andernfalls die Suizidhilfe rechtlich untersagt und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben könne kaum gewährleistet werden.

Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Verbot einen bedeutsamen Zweck

Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Sterbewilligen einen vom BVerfG als legitim angesehenen Zweck: Vor Gefahren für die Selbstbestimmung des Einzelnen über das Leben und damit das Leben als solches zu schützen. Es drohe die Gefahr, dass geschäftsmäßige Suizidhilfe zu einer „gesellschaftlichen Normalisierung“ der Suizidhilfe führen könnte. Es solle verhindert werden, dass weiterhin Suizidhilfe ohne vorherige Sicherstellung einer fachärztliche Untersuchung, Beratung und Aufklärung geleistet wird. Die freie Willensbildung und Entscheidungsfindung soll hinreichend sichergestellt werden und nicht von Ängsten vor Versorgungslücken in Medizin und Pflege oder Bedenken, Angehörigen und Dritten zur Last zu fallen, bestimmt werden.

Zugang zu Sterbehilfe soll real immer eröffnet bleiben

Die damit einhergehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ist nach Ansicht des BVerfG in der derzeitigen Form nicht angemessen. Die Belastung des Einzelnen steht demnach außer Verhältnis zu dem der Allgemeinheit entstehenden Vorteilen. Die über das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte freie Entscheidung zu selbstbestimmtem Sterben darf nicht unmöglich gemacht werden. § 217 StGB beschränkt zwar ausschließlich eine bestimmte – die geschäftsmäßige – Form der Suizidhilfe. Die verbleibenden Optionen bieten aber lediglich eine theoretische und keine tatsächliche Aussicht auf eine freie Selbstbestimmung. Auch der Verweis auf das Angebot der Suizidhilfe außerhalb Deutschlands ist unzulässig, so das BVerfG. Der Staat müsse den Grundrechtsschutz innerhalb der eigenen Rechtsordnung gewährleisten. Aus diesen Gründen erklärt das BVerfG § 217 StGB für nichtig. Eine verfassungskonforme Auslegung der Norm sei nicht möglich.

Der Gesetzgeber muss auf andere Weise Suizidpräventionen betreiben

Das BVerfG stellt allerdings klar, dass die Entscheidung keinesfalls zur Folge hat, dass dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich untersagt wird, Suizidpräventionen betreiben zu dürfen. Es verweist auf die zahlreichen weiteren Möglichkeiten, wie z. B. gesetzliche Aufklärungs- und Wartepflichten oder die Stärkung und den Ausbau palliativmedizinischer Behandlungsangebote, um die Suizidhilfe zu regulieren. Niemand kann verpflichtet werden Suizidhilfe zu leisten. Mit der Entscheidung des BVerfG bleibt lediglich die Möglichkeit offen.