Donnerstag, 21.11.2019

Rückforderung überzahlten Honorars nach Feststellung der Sozialversicherungspflicht und Arbeitnehmereigenschaft

Die landläufig unter dem Begriff „Scheinselbstständigkeit“ bekannte Problematik beschäftigt die Gerichte immer wieder. In der Regel haben die Sozialgerichte darüber zu befinden, ob bestimmte Dienste in einem Vertragsverhältnis selbstständig und damit sozialversicherungsfrei oder als Beschäftigter/Arbeitnehmer und damit sozialversicherungspflichtig erbracht wurden. Ist das Ergebnis die Feststellung der Sozialversicherungspflicht, während das Vertragsverhältnis durch die Parteien aber als freies Dienstverhältnis gelebt wurde, hat der Arbeitgeber im schlimmsten Fall für bis zu vier Jahre rückwirkend die unterbliebenen Sozialversicherungsabgaben abzuführen. Der Arbeitnehmer nimmt an diesem Rechtsstreit meist als Beigeladener teil, der auch selbst Prozesshandlungen vornehmen und damit auch zum Streitstoff beitragen kann. Nicht selten erkennt der Beigeladene, trotz der einvernehmlichen Einigung über die Durchführung eines freien Dienstverhältnisses, für sich Vorteile in der späteren Feststellung der Beschäftigteneigenschaft und initiiert das Verfahren vor der Rentenversicherung bzw. den Sozialgerichten daher sogar selbst. Immerhin genießt ein Arbeitnehmer/Beschäftigter vielfach besonderen Schutz, den ein Selbstständiger nicht hat. Ein solcher Fall wurde nun nicht vor den Sozial-, sondern vor den Arbeitsgerichten verhandelt und dem beklagten – als solchen nachträglich und rückwirkend eingeordneten – Arbeitnehmer mit der Entscheidung des BAG vom 26.06.2019 (5 AZR 178/18) zum Verhängnis.

Achtung: Vermeintliche Vorteile des Arbeitnehmers bei nachträglicher Feststellung seiner Sozialversicherungspflicht können sich umkehren

Geklagt hatte das in die Arbeitgeberstellung eingetretene Unternehmen, nach der durch den Arbeitnehmer initiierten Feststellung seiner Sozialversicherungspflicht durch die Sozialgerichte. Der Arbeitnehmer hatte, in der Annahme es handele sich um ein freies Dienstverhältnis, in den 9 Jahren der dieser Entscheidung vorangegangenen Tätigkeit ein Honorar in Höhe von 50 € bzw. 60 € je Stunde erhalten. Das entsprach nach dem Vortrag der Klägerin etwa dem Doppelten der üblicherweise gezahlten Vergütung in einem Arbeitsverhältnis. Nachdem die Klägerin nachträglich die Sozialversicherungsabgaben abzuführen hatte, beanspruchte sie von dem Beklagten die Rückzahlung der Differenz zwischen dem vereinbarten Honorar und der üblichen Vergütung eines Arbeitnehmers sowie die Differenz der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Während das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht die Klage noch abwiesen, erkannte das BAG den Anspruch dem Grunde nach gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB an. Der klagende Arbeitgeber hat demnach einen Rückforderungsanspruch, wenn und soweit die in einem Arbeitsverhältnis für die erbrachte Leistung zu zahlende Vergütung geringer gewesen wäre, als das für die freie Mitarbeit gezahlte Honorar.

Beschäftigter ist nicht gleich Arbeitnehmer

Das BAG wies ausdrücklich darauf hin, dass der arbeitsrechtliche Begriff des Arbeitsverhältnisses nicht deckungsgleich mit dem sozialrechtlichen Begriff des (sozialversicherungspflichten) Beschäftigungsverhältnisses sei. Diese Frage war zwischen den Parteien in dem zu entscheidenden Fall letztlich aber unstreitig. Das Vorverhalten in dem sozialgerichtlichen Verfahren, in dem der Arbeitnehmer engagiert dazu vorgetragen hatte, warum er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne Beschäftigter gewesen sei, führte das BAG zur Bestätigung des Arbeitnehmerstatus. Zudem war die Frage zu klären, was als übliche Vergütung anzusehen ist, wenn die Parteien hierüber keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen hatten, da sie der Meinung waren, ein freies Dienstverhältnis zu führen. Im Falle der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages bedürfte es einer Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe. Findet kein Tarifvertrag Anwendung kann hier mit der Entlohnung anderer Mitarbeiter mit vergleichbarer Tätigkeit argumentiert werden. Die Entscheidung befasst sich auch mit Fragen der Entreicherung und der Verjährung. Zur Entreicherung, d. h. des Anspruchsausschlusses, weil der Arbeitnehmer durch die überzahlten Vergütungsbestandteile keine finanziellen Vorteile mehr vorzuweisen hatte, konnte das BAG mangels Feststellungen des LAG keine abschließende Entscheidung treffen. Die Angelegenheit wurde daher an das LAG zurückverwiesen. Auf das LAG wird nun eine nicht unerhebliche Rechenaufgabe zukommen, da zur abschließenden Bezifferung des Anspruchs nicht nur die reine Differenz zwischen gezahltem Honorar und üblicher Vergütung, sondern auch die Auswirkung auf nicht gewährte Urlaubs- und Feiertagsvergütung zu berücksichtigen sein wird.

Fazit:Frühzeitige Beratung ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber unumgänglich

Aus dieser Entscheidung kann nur der Schluss gezogen werden, dass eine Scheinselbstständigkeit aus dem Blickwinkel aller Beteiligten in jedem Fall vermieden werden sollte. Vor der Vereinbarung eines freien Dienstverhältnisses sollte immer fachkundiger Rat eingeholt und im Zweifelsfall die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV beantragt werden. Anderenfalls können, wie dieser Fall eindrucksvoll zeigt, sowohl auf die eine, wie auch auf die andere Partei erhebliche finanzielle Belastungen zu kommen.