Montag, 04.11.2019

Reisezeit als Arbeitszeit

Mit Urteil vom 17.10.2018 (5 AZR 553/17) hat das BAG entschieden, dass erforderliche Reisezeit als Arbeitszeit zu vergüten ist.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Vergütung von Reisezeiten. Die Beklagte, ein Bauunternehmen, beschäftigt den Kläger seit 1988 als technischen Mitarbeiter. Zu seinem Aufgabenbereich gehört es, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) Anwendung. Der Kläger wurde vom 10.08.-30.10.2015 auf eine Baustelle nach China entsandt. Der dazu ergänzend geschlossene Entsendevertrag enthielt keine Regelung zur Vergütung von Reisezeiten. Auf Wunsch des Klägers buchte die Beklagte anstelle des Direktflugs in der Economy-Class einen Flug in der Business-Class mit Zwischenstopp in Dubai. Ausgehend vom arbeitsvertraglich vereinbarten 8-Stunden-Tag wurden für die vier Reisetage (zwei Anreise- und zwei Abreisetage) insgesamt 32 Stunden vergütet. Der Kläger verlangte jedoch Vergütung für weitere 37 Stunden Reisezeit, weil nach seiner Ansicht die gesamte Reisezeit von seiner Wohnung bis zur Arbeitsstelle zu vergüten sei. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der dagegen gerichteten Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Mainz stattgegeben (Urt. v. 13.07.2017 ­– 2 Sa 468/16).

Die Revision der Beklagten war wiederum teilweise erfolgreich.

Erforderliche Reisezeit ist als Arbeitszeit zu vergüten

Das BAG entschied, dass Reisezeit den „versprochenen Diensten“ im Sinne von § 611a BGB unterfällt. Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem – eigennützigen – Zurücklegen des Weges von seiner Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber. Anders ist es jedoch zu bewerten, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. Die Fahrt zur auswärtigen Arbeitsstelle ist dann als Hauptleistungspflicht anzusehen, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu notwendig ist die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen.

Das gilt gleichfalls für Reisen, die wegen einer vorübergehenden Entsendung zur Arbeit ins Ausland erforderlich sind. Diese sind fremdnützig und damit jedenfalls dann Arbeit im vergütungsrechtlichen Sinne, wenn sie – wie im Streitfall – ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und in untrennbarem Zusammenhang mit der geschuldeten Arbeitsleistung stehen.

Maßgeblich ist demnach, ob Reisezeiten erforderlich sind. Für die Erforderlichkeit von Reisezeiten gelten folgende Grundsätze:

Gibt der Arbeitgeber Reisemittel und -verlauf vor, ist die Reisezeit erforderlich, die der Arbeitnehmer benötigt, um entsprechend der Vorgaben des Arbeitgebers das Reiseziel zu erreichen.

Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Wahl von Reisemittel und/oder Reiseverlauf, ist der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Vertragsteils (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, das kostengünstigste Verkehrsmittel bzw. den kostengünstigsten Reiseverlauf zu wählen. Bei einer Flugreise ist deshalb grundsätzlich die Reisezeit erforderlich, die bei einem Direktflug in der Economy-Class anfällt, es sei denn, ein solcher wäre wegen besonderer Umstände dem Arbeitnehmer nicht zumutbar.

Arbeitszeit ist nicht gleich Arbeitszeit

Zu trennen ist die Vergütungspflicht von der Frage, ob Reisezeiten als Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne anzusehen sind. Überschreiten Arbeitszeit und Reisezeit an einem Tag die Höchstgrenzen nach dem ArbZG, die Arbeitszeit für sich genommen jedoch nicht, kann dies arbeitszeitrechtlich unerheblich sein. Etwas anderes wird man aber annehmen müssen, wenn der Arbeitgeber anordnet, dass der Arbeitnehmer während der Reisezeit arbeiten muss.

Wie ist Reisezeit zu vergüten?

Grundsätzlich ist Reisezeit mit dem Stundenlohn zu vergüten, der sich aus der vertraglich vereinbarten Vergütung errechnet. Allerdings kann hiervon nach Ansicht des BAG durch einzelvertragliche Vereinbarung, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden, sofern hierdurch nicht der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz unterschritten wird.