Donnerstag, 08.10.2020

Opferentschädigung bei Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft

Ein Beitrag von Thomas Brinkmann

Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 24.09.2020 (B 9 V 3/18 R) festgelegt, dass Geschädigte durch mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zwar grundsätzlich Opferentschädigung verlangen können, allerdings nur wenn der Alkoholmissbrauch auf einen Schwangerschaftsabbruch abzielt.

Wann ist das Opferentschädigungsgesetz anwendbar?

Die Klägerin, welche aufgrund eines fetalen Alkoholsyndroms schwerbehindert ist, beantragte im Jahre 2009 eine Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz. Diese wurde ihr nicht gewährt, obwohl beide Elternteile im Rahmen der Zeugenbefragung den erheblichen Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft einräumten. Das Bundessozialgericht stimmte den vorangegangenen Entscheidungen im Ergebnis zu, weil nicht bewiesen werden konnte, dass der Alkoholmissbrauch durch die Mutter den Abbruch der Schwangerschaft zum Ziel hatte. Somit lag mangels Verletzung von Strafvorschriften kein rechtwidriger Angriff vor, der Voraussetzung für einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz ist.

Ungeborenes Kind grundsätzlich geschützt

In der Entscheidung betonte das Bundessozialgericht, dass grundsätzlich auch das ungeborene Kind, der sog. Nasciturus, vom Schutzbereich des Opferentschädigungsgesetzes umfasst wird. Er kann somit Opfer eines tätlichen Angriffs gemäß § 1 Abs.1 Satz 1 OEG werden.

Grenze zu kriminellem Unrecht muss überschritten werden

Ein Angriff muss jedoch rechtwidrig sein, also die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreiten. Das ungeborene Leben ist allerdings nur in § 218 StGB vor strafrechtlichen Handlungen geschützt. Der Angriff muss sich somit auf den Abbruch der Schwangerschaft richten. Die Strafvorschriften im StGB zur Körperverletzung schützten nur das geborene Leben und begründen keinen Anspruch auf Opferentschädigung, selbst wenn die Verletzung des ungeborenen Lebens durch den Alkoholkonsum der Mutter bewiesen werden kann.

Wer einen Anspruch auf Opferentschädigung wegen mütterlichen Alkoholmissbrauchs in der Schwangerschaft geltend gemacht will, muss also beweisen, dass die Mutter zumindest mit bedingtem Vorsatz in Bezug auf einen Abbruch der Schwangerschaft handelte. Sie muss die tödlichen Folgen des Alkoholkonsums für das ungeborene Kind für möglich gehalten und trotzdem billigend in Kauf genommen haben. Diese Hürde konnte in dem entschiedenen Fall nicht genommen werden, weshalb ein Anspruch auf Opferentschädigung konsequenter Weise angelehnt wurde.