Freitag, 31.07.2020

Kein automatisches Recht auf vergessen werden

Ein Beitrag von Ann-Katrin Meiser
 

In seinem Urteil vom 27.07.2020 (Az. VI ZR 405/18) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Auslistung des Ergebnislinks zu einem Presseartikel bei der Suchmaschine „Google“ zu einer Suche nach seinem Namen zusteht. In einem ähnlichen Verfahren (Az. VI ZR 476/18) hat er indes das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
 
Der jeweilige Einzelfall ist maßgeblich
 
Dem entschiedene Fall (Az. VI ZR 405/18) liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger war Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation, der im Jahr 2011, kurz nachdem sich der Kläger arbeitsunfähig krank meldete, ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro aufwies. Über diese beiden Tatsachen berichtete die regionale Tagespresse, die auch den vollen Name des Klägers abdruckte.
 
Der Kläger begehrte nunmehr die Unterlassung, diese Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste nachzuweisen. Der BGH hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers zurückgewiesen.
 
In dem dem EuGH vorgelegten Fall (VI ZR 476/18) liegt der Sachverhalt anders:
Der eine Kläger ist an verschiedenen Gesellschaften, die Finanzdienstleitungen anbieten, beteiligt oder in verantwortlicher Position tätig. Die zweite Klägerin, zugleich seine Lebensgefährtin, war Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Ein US-amerikanisches Unternehmen, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, „durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen“, veröffentlichte auf seiner Internetseite im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten, einer dieser Artikel war mit Fotos der beiden Kläger versehen. Zugleich wurde kritisch über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Webseite berichtet. Unter anderem erfolgte der Vorwurf, sie versuche Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen oder die negative Berichterstattung zu verhindern. Die beiden Kläger machten geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein und begehrten von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine "Google", die Unterlassung, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als sog. „thumbnails“ anzuzeigen. Die Beklagte erklärte, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.
 
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Der BGH hat das Verfahren jetzt ausgesetzt und dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
 
Alle Grundrechte auf die Waage
 
Der BGH verwies auf die Rechtsprechung des EuGH und den Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 06.11.2019 (1 BvR 276/17 – „Recht auf Vergessen II“) und folgert daraus, der Auslistungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO erfordere eine umfassende Grundrechtsabwägung. Danach seien auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs die Grundrechte der betroffenen Person einerseits (Art. 7, 8 GRCh) und die Grundrechte der Beklagten, der Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits (Art. 11, 16 GRCh) gegeneinander abzuwägen. Zudem sei der Zeitablauf in die Abwägungen zu berücksichtigen. Unter Abwägung aller Umstände dieses Einzelfalles hätten die Grundrechte des Klägers hinter den Interessen der Beklagten, den Interessen ihrer Nutzer, der Öffentlichkeit und der, für die verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgane zurückzutreten.
 
Zwei Fragen zur Vorabentscheidung an das EuGH
 
Dennoch blieben zwei Fragen offen, die dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden sind. Im Wesentlichen muss sich nun der EuGH mit der Frage befassen, wie es zu beurteilen ist, wenn im Einzelfall der Wahrheitsgehalt der nachgewiesenen Inhalte fragwürdig ist. Außerdem soll er dazu Stellung beziehen, wie bei einer Abwägung der Umstand zu berücksichtigen ist, dass in der Ergebnisliste einer Suchanfrage nach dem Namen, zum Artikel gehörende Bilder als sog. „thumbnails“ angezeigt werden, ohne dass ein Kontext oder der konkrete Inhalt der dazugehörigen Internetseite erkennbar sind.
 
Damit geht der BGH davon aus, dass ein Recht auf Vergessenwerden dem Grunde nach nicht besteht, zeigt durch seine Vorlagefragen aber, dass dieser Grundsatz im Einzelfall anders zu beurteilen sein kann, wenn das durch Einzelfallumstände, die einen Grundrechtseingriff darstellen, gerechtfertigt scheint.