Dienstag, 12.05.2020

Fürsorgepflicht und Risiko des Arbeitgebers in Zeiten von Covid-19

Ein Beitrag von Jana Ross

Spätestens seit Ende März wurden in Deutschland strenge Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern. Das hat den Betrieb in vielen Bereichen – auch solchen, die nicht schon aufgrund gesetzlicher Vorschriften zu einer Schließung gezwungen waren – stark herunter gefahren oder sogar still gelegt. Nachdem die Regierung die Lockerungen ausgeweitet hat, kehren auch die Arbeitgeber so weit wie möglich zu ihrem Arbeitsalltag zurück. Wo Arbeitnehmer freigestellt waren oder im Home Office arbeiteten, sollen diese wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Bei der Umsetzung dieser Rückkehr stellt sich die Frage, was zu beachten ist.

Was gebietet die Fürsorgepflicht?

Die gegenseitige Fürsorgepflicht ist Nebenpflicht eines jeden Arbeitsverhältnisses. Für den Arbeitgeber heißt das, er hat die Interessen des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der Interessen anderer Arbeitnehmer zu wahren und dabei nach Treu und Glauben seine Rechte auszuüben. Zu berücksichtigen hat er auch eine Vielzahl an Gesetzen. Aus dem Arbeitsschutzgesetz folgt die Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes (§ 5 ArbSchG) – ggf. zusammen mit dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG – und die Umsetzung erforderlicher Schutzmaßnahmen. Im Ergebnis hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die Erkrankungsrisiken und Gesundheitsgefahren aufgrund des sog. Coronavirus im Betrieb so gering wie möglich bleiben.

Wie werden Arbeitsschutzvorschriften in Zeiten von Corona eingehalten?

Am 27.04.2020 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesregierung einen aktuellen Arbeitsschutzstandard. Dieser gliedert sich in technische, besondere organisatorische und besondere personenbezogene Maßnahmen (https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Schwerpunkte/sars-cov-2-arbeitsschutzstandard.pdf;jsessionid=32574E9EF%20B96FE7BC1D952101DA45147?__blob=publicationFile&v=2).

Die technischen Maßnahmen verlangen zunächst die Umorganisation des Arbeitsplatzes, sodass ein physischer Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Mitarbeitern eingehalten wird. Solche raumbezogenen Maßnahmen müssen sowohl für den Arbeitsplatz als auch für andere gemeinschaftlich genutzte Räume wie Kantinen und Sanitärräume gelten. Auf zweiter Stufe führen die Arbeitsschutzstandards dies über die Einhaltung von Schutzabständen im organisatorischen Bereich fort, d. h. für die Nutzung von Verkehrswegen beim innerbetrieblichen Transport sowie die Aufbewahrung und Reinigung von Arbeitsmitteln. Zum Schluss sehen die personenbezogenen Maßnahmen insbesondere eine Schutzausrüstung (wie der Mund-Nase-Schutz) vor sowie den Schutz von Risikogruppen. Zu den Risikogruppen nimmt der Arbeitsschutzstandard im Wesentlichen Bezug auf die arbeitsmedizinische Vorsorge.

Was gilt für einer Risikogruppe angehörende Arbeitnehmer?

Wenn keine besonderen Anhaltspunkte – wie das Vorliegen bestätigter Corona-Fälle in der Belegschaft – gegeben sind, könnte nach dem Vorstehenden grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass dann (und auch nur dann), wenn alle Maßnahmen des Arbeitsschutzstandards als Konzept ausgearbeitet und eingehalten werden, eine Beschäftigung von Risikogruppen möglich ist und auch von Mitarbeitern in Risikogruppen verlangt werden kann.

Das Risiko des Arbeitgebers

Die Frage ist jedoch: Kann der Arbeitgeber sicherstellen, dass die Schutzmaßnahmen vollständig und zu jeder Zeit umgesetzt werden? Kann er das nicht, setzt er sich, zumindest nach heutigem Stand, einem erheblichen Risiko aus. In der Fachliteratur wird derzeit diskutiert, ob für diesen Fall das Haftungsprivileg des Arbeitgebers nach § 104 SGB VII für Verletzungen und Erkrankungen, die der Arbeitnehmer sich während der Ausübung einer betrieblich veranlassten Tätigkeit zuzieht, nicht greift, weil dem Arbeitgeber bei der Beschäftigung von der Risikogruppe angehörenden Arbeitnehmern (bedingter) Vorsatz anzulasten ist. Das hätte zur Folge, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alle aus einer Infektion resultierenden Folgen im Wege des Schadenersatzes zu ersetzen hätte. Bei dauerhaften Schäden würde dies zu einem erheblichen Kostenrisiko führen. Die dies vertretende Literaturmeinung nimmt Bezug auf das Urteil des LAG Nürnberg vom 09.06.2017 (Az. 7 Sa 231/16). Hier hatte ein Arzt vorsätzlich die gefährliche Arbeit der Blutentnahme bei einem Hepatitis-C-Patienten durch eine Auszubildende am ersten Tag der Arbeit ohne Einweisung und mit ungeeigneten Hilfsmitteln verrichten lassen.

Es ist nicht auszuschließen, dass sich Gerichte im Zusammenhang mit Covid-19 dieser Auffassung anschließen könnten. Dieses Risiko ist abzuwägen mit dem finanziellen Nachteil, den ein Arbeitgeber durch eine dauerhafte Freistellung eines zur Risikogruppe zählenden Arbeitnehmers erleidet, insbesondere angesichts der Ungewissheit über die Dauer der Pandemielage. Letztlich kann die Entscheidung hierüber jedoch nur einzelfallbezogen getroffen werden und je nach Branche und konkreten (betrieblichen) Gegebenheiten unterschiedlich ausfallen.