Dienstag, 14.07.2020

Fragen zum Verfall von Urlaub bleiben vorerst weiter ungeklärt

Ein Beitrag von Jana Ross
 
In einer viel diskutierten Entscheidung hat der EuGH am 06.11.2018 (C-684/16) die Richtung zu einer grundlegenden Änderung des bisherigen Urlaubsrechts gewiesen. Nun liegt dem EuGH eine sich hieraus ergebende Folgefrage erneut zur Entscheidung vor.
 
Das Urlaubsrecht vor der EuGH-Entscheidung
 
Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. D. h. der Urlaub für ein laufendes Kalenderjahr verfiel ohne Zutun der Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich spätestens mit dem Ablauf des 31.03. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres. Aus § 9 BUrlG folgt, dass während einer Erkrankung kein Urlaub genommen und gewährt werden kann. Demnach schließen sich die Freistellung wegen einer Erkrankung und diejenige zur Urlaubsgewährung gegenseitig aus und liegt bei einer längerfristigen Erkrankung, die unter Umständen mehrere Jahre andauert, ein Grund in der Person des Arbeitnehmers, der eine längere Übertragung des Urlaubs rechtfertigt. Da häufig aber gerade langzeiterkrankte Arbeitnehmer nach ggf. vielen Jahren der Erkrankung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden und nicht genommener Urlaub mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten ist, führte dies zu erheblichen finanziellen Belastungen der Arbeitgeber. Die Rechtsprechung entwickelte das Urlaubsregime daher dahin fort, dass auch bei Langzeiterkrankten nach 15 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Urlaub entstanden war, (d. h. zum 31.03. des übernächsten Jahres) der Urlaub verfiel. Im Jahr 2010 erklärte der EuGH (Urteil vom 22.11.2011 – C-2014/10) diese Verfallfrist für unionsrechtskonform. Nach bisheriger Rechtsprechung verfiel der Urlaub daher regelmäßig entweder zum Ende des Jahres, jedenfalls aber zum 31.03. des (über-)nächsten Jahres.
 
EuGH stellt neue Anforderungen an den Urlaubsverfall
 
Im November 2018 nahm der EuGH jedoch einen Unionsrechtsverstoß dadurch an, dass Arbeitnehmer zuvor nicht auf den drohenden Verfall von Urlaub hingewiesen werden. Urlaub dürfe nicht verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht in die Lage versetzt habe, diesen zu nehmen. Der EuGH verlangt dazu einen Hinweis des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, in welchem ihm die Anzahl seiner offenen Urlaubstage vor Augen geführt wird, verbunden mit der Aufforderung, diesen in Anspruch zu nehmen und dem Hinweis auf den Verfall für den Fall, dass der Urlaub nicht im laufenden Kalenderjahr in Anspruch genommen wird. Erfolge ein solcher Hinweis nicht, verfalle auch der Urlaub nicht.
 
Folgefragen zu der Entscheidung des EUGH: Hinweispflicht auch für Langzeiterkrankte?
 
Neben zahlreichen Fragen zu der richtigen Umsetzung dieser Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers – beispielsweise dazu, wann und wie oft ein solcher Hinweis erfolgen muss – sowie zu etwaigen Urlaubsansprüchen aus Vorjahren und deren Verjährung, stellte sich im Anschluss an diese Entscheidung auch die Frage, was für langzeiterkrankte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer, die voll erwerbsgemindert sind, gilt. Diese kann der Arbeitgeber regelmäßig auch durch einen Hinweis nicht in die Lage versetzen, ihren aufgelaufenen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Die Instanzgerichte entschieden unterschiedlich zu der Frage, ob ein solcher Hinweis in diesem Fall erforderlich sei oder nicht. Nun lagen zwei Fälle dem BAG vor, welches am 07.07.2020 (9 AZR 401/19 und 9 AZR 245/19) diese Frage wiederum dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte. Bislang sind nur die Pressemitteilungen des BAG und die konkreten Vorlagefragen aus den Sitzungsergebnissen veröffentlicht. Eine endgültige Antwort darauf, ob Arbeitgeber nun auch ihre langzeiterkrankten und voll erwerbsgeminderten Arbeitnehmer auf den möglichen Verfall des Urlaubs hinzuweisen haben, lässt aber jedenfalls noch einige Zeit auf sich warten. Um sich nicht am Ende des Arbeitsverhältnisses mit erheblichen Urlaubsabgeltungsansprüchen konfrontiert zu sehen, sollten die Hinweispflichten bis dahin gegenüber allen Arbeitnehmern gleichermaßen und möglichst zu Beginn eines Kalenderjahres erfüllt werden.