Freitag, 16.09.2022

Einführung einer elektronischen Zeiterfassung – Arbeitgeber müssen künftig die Arbeitszeit erfassen

Ein Beitrag von Melanie Bördner

Das BAG hat mit Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet ist, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Grund: Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.
 
 
1.
Dem Fall lag ursprünglich ein Streit über die Kompetenzen eines Betriebsrats im Rahmen der Mitbestimmung zugrunde:
Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung betreiben, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur elektronischen Arbeitszeiterfassung. Im Laufe der Verhandlungen verloren die Arbeitgeberinnen jedoch das Interesse an der Einrichtung einer solchen, weshalb sie die Gespräche hierzu mit dem Betriebsrat abbrachen. Diesem Vorgehen widersprach der Betriebsrat, da er weiterhin die Einrichtung einer elektronischen Zeiterfassung anstrebte.  Daher rief er die Einigungsstelle an und begehrte die weitere Verhandlung des Zeiterfassungssystems. Die Einigungsstelle setzte zunächst die Verhandlungen aus, da es nicht geklärt sei, ob sie zuständig sei, wenn der Betriebsrat initiativ die Einführung einer Zeiterfassung verlange.
Das erstinstanzlich entscheidende AG Minden (Beschluss vom 15.09.2020 – 2 BV 8/20) gab den Arbeitgeberinnen Recht und berief sich auf eine ältere Rspr. des BAG, wonach ein Mitbestimmungsrecht bei technischen Überwachungseinrichtungen als Abwehrrecht des Betriebsrats zum Schutz der Arbeitnehmer zu verstehen sei und gerade nicht als ein Initiativrecht des Betriebsrats. Diese Argumentation überzeugte das LAG Hamm (Beschluss vom 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20) jedoch nicht: Wortlaut und Verständnis des § 78 BetrVG sprächen für ein Initiativrecht des Betriebsrats.
Das sah das BAG in seinem Beschluss vom 13.05.2022 nun ganz anders (Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21): Die gegen die Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte Erfolg.
 
2.
Auf die Frage, ob dem Betriebsrat generell ein Initiativrecht zusteht komme es laut BAG in dem vorliegenden Fall nicht an. Denn der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur dann mitzubestimmen, wenn eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber jedoch gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten des Arbeitnehmers zu erfassen. Denn § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG sieht vor, dass der Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ hat. Nach Auffassung des BAG umfasst dies auch die Messung und Erfassung der Arbeitszeit. Da die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits gesetzlich geregelt ist, kommt ein Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung mangels gesetzlicher Regelungslücke daher nicht in Betracht.