Freitag, 29.04.2022

Der neue Referentenentwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) – längst überfällige Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie absehbar

Ein Beitrag von: Sonja Ruland, Lars Wenning

Das Bundesjustizministerium (BmJ) hat am 13.04.2022 einen Referentenentwurf für das „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen“ vorgestellt. Bis zum 11. Mai können sich nun die Länder und Verbände zum neuen Gesetzesentwurf äußern. Es wird erwartet, dass das Gesetz im kommenden Juni vom Bundestag beschlossen wird und im Herbst in Kraft tritt. Der Anwendungsbereich des Gesetzes soll auf nationales Recht ausgeweitet werden.

Die EU-Kommission hatte zuvor ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, da die entsprechende EU-Richtlinie (EU) 2019/1937 (nachfolgend: EU-Whistleblower-Richtlinie) vom deutschen Gesetzgeber nicht innerhalb der von der EU vorgegebenen Frist bis zum 17. Dezember 2021 in ein nationales Gesetz überführt worden war.

(Kern-)Regelungsgehalt und persönlicher Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)

Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) ist die – längst überfällige – deutsche Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie, die erstmals einen EU-weiten standardisierten Schutz für hinweisgebende Personen festlegt. Das Gesetz regelt den Schutz natürlicher Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die internen oder externen Meldestellen weitergeben (hinweisgebende Personen). In den persönlichen Anwendungsbereich fallen nicht nur Arbeitnehmer:innen, sondern etwa auch Beamt:innen, Selbstständige sowie Anteilseigner:innen. Es sollen damit möglichst alle Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben, erfasst sein. Die die Beschäftigungsgeber treffende Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen ist dabei nicht auf die Privatwirtschaft beschränkt, sondern betrifft auch den gesamten öffentlichen Sektor. Entscheidend ist insofern lediglich, dass bei der betreffenden Stelle in der Regel mindestens 50 Beschäftigte vorhanden sind. Der Gesetzentwurf erweitert den Anwendungsbereich für den Schutz von Whistleblowern. Er umfasst neben Verstößen gegen Europäisches Recht auch die Meldung von Verstößen gegen deutsche Gesetze, etwa bei Informationen zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie bei Verstößen gegen den Umweltschutz oder die Produktsicherheit.

Darauf müssen Unternehmen jetzt vorbereitet sein:
 
  • Unternehmen und Organisationen (Beschäftigungsgeber) mit mindestens 50 Beschäftigten müssen sichere Hinweisgebersysteme einführen, Unternehmen mit nur 50-249 Beschäftigten haben insofern eine Umsetzungsfrist bis zum 17. Dezember 2023, wobei diese kleineren Unternehmen ferner davon profitieren, dass sie mit anderen Unternehmen eine gemeinsame Meldestelle einrichten können
  • Die interne Meldestelle muss dem Hinweisgeber innerhalb von 7 Tagen den Eingang der Meldung bestätigen
  • Innerhalb von drei Monaten muss die Meldestelle die hinweisgebende Person darüber informieren, welche Maßnahmen in Folge ergriffen wurden, z.B. die Einleitung interner Untersuchungen oder die Weitergabe der Meldung an die zuständige Behörde 
  1. Interne Meldestellen:
Der Entwurf enthält nur wenige Vorgaben in Bezug auf die Organisation der internen Meldestellen. Den Verpflichteten verbleibt daher ein großer Ermessensspielraum hinsichtlich der konkreten Umsetzung.
Es soll zwecks Verhinderung einer Überlastung der Hinweisgeberschutzsysteme auch keine Pflicht zur Bearbeitung anonymer Hinweise geben. Außerdem können Unternehmen auch Dritte, also etwa Rechtsanwaltskanzleien, beauftragen, die Aufgaben der internen Meldestelle(n) wahrzunehmen. 
 
  1. Externe Meldestellen
Daneben soll es beim Bundesamt für Justiz eine externe Stelle zur Entgegennahme von Meldungen geben. Ferner soll eine Bündelung bestehender Meldesysteme bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie beim Bundeskartellamt als weiteren externen Meldestellen mit Sonderzuständigkeiten erfolgen. Die Entscheidung, ob eine Meldung an interne oder externe Meldestellen erstattet wird, steht der hinweisgebenden Person frei, ihr sind grundsätzlich beide Meldewege eröffnet.
 
  1. Meldestellen im Konzern
Die EU-Kommission hatte im Jahre 2021 in gleich zwei Stellungnahmen (am 2. Juni und am 29. Juni 2021) rein zentrale Meldestellen im Konzern abgelehnt und für Tochtergesellschaften mit i.d.R. mehr als 249 Beschäftigten eine jeweils eigene Meldestelle gefordert. Hingegen geht der neue Referentenentwurf in seiner Begründung davon aus, dass innerhalb eines Konzerns bei einer (Tochter-)Gesellschaft eine zentrale Meldestelle als „Dritter“ eingerichtet werden kann, die auch für andere Konzerngesellschaften tätig sein kann.
 
  1. Beweislastumkehr zugunsten der hinweisgebenden Person und Schadensersatz 
Wer als Whistleblower:in nach den Regeln des Gesetzes vorgeht, wird vor Kündigungen, Versetzungen oder Disziplinarmaßnahmen geschützt.  Kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, soll der hinweisgebenden Person eine im Entwurf vorgesehene Beweislastumkehr helfen: Wer nach einem erteilten Hinweis Repressalien erleidet, zu dessen/deren Gunsten wird vermutet, dass die gegen ihn/sie ausgesprochene Kündigung als Reaktion auf den erteilten Hinweis erfolgt ist. Sollte die hinweisgebende Person Repressalien erleiden, kann sie ferner einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen.
 
Der Entwurf enthält jedoch ebenfalls Regeln zugunsten von Arbeitgebern für den Fall etwaiger missbräuchlicher Hinweise, insbesondere Schadensersatzansprüche bei grob fahrlässigen Falschmeldungen durch Beschäftigte.
 
  1. Der Weg in die Öffentlichkeit
Die Inanspruchnahme der Nutzung der zu diesem Zweck eingerichteten Meldestellen geht einer Veröffentlichung grundsätzlich
vor. Hiervon kann nur in Ausnahmefälle abgesehen werden.  Die Offenlegung ist u. a. dann zulässig, wenn eine zuvor gegenüber einer externen Meldestelle abgegebene Meldung innerhalb von drei Monaten unbeantwortet geblieben ist oder wenn eine Gefährdung des öffentlichen Interesses – u. a. wegen eines Notfalls oder der Gefahr irreversibler Schäden – anzunehmen ist.
 
  1. Ausnahmen bei Verschlusssachen
Der deutsche Entwurf sieht Ausnahmen vor: Verschlusssachen und Informationen, die unter die ärztliche oder anwaltliche Verschwiegenheitspflicht oder das richterliche Beratungsgeheimnis fallen, deckt das Hinweisgeberschutzgesetz nicht ab.
 
  1. Bußgelder
Verstöße sollen als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können (§ 40 HinSchG). Hierunter fallen sowohl die unterlassene Einrichtung von Meldestellen als auch die Behinderung der Meldung etc. Nach dem Entwurf können die Bußgelder nicht nur gegen das Unternehmen, sondern auch gegen die verantwortlichen Personen verhängt werden. Während Verstöße von Verantwortlichen abhängig von dem jeweiligen Verstoß mit einer Geldbuße von bis zu EUR 100.000 geahndet werden können, kann die Unternehmensgeldbuße sogar bis zu EUR 1 Mio. betragen.
 
  1. Inkrafttreten
Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form der Entwurf im kommenden Gesetzgebungsverfahren angepasst wird. ABER: Erwartet wird, dass das Gesetz im kommenden Juni vom Bundestag beschlossen und im Herbst 2022 in Kraft tritt. Es ist mithin davon auszugehen, dass die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallenden Unternehmen unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes – kleinere Unternehmen indes erst bis zum 17. Dezember 2023 (siehe oben) – die erforderlichen Meldestellen einrichten müssen, um den gesetzlichen Anforderungen nachzukommen und keine Bußgelder zu riskieren.
 
Kritik und Ausblick auf die Beratungspraxis
 
Es wird bereits jetzt von mehreren Seiten Kritik an dem Entwurf geübt, da dieser nur die Offenlegung von Verstößen gegen Rechtsnormen vorsieht und nicht auch sonstiges Fehlverhalten sanktioniert, an dessen Aufdeckung mitunter ebenfalls ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Initialzündung für die EU-Richtlinie war schließlich ein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedener Fall, bei dem es in erster Linie nicht um Gesetzesverstöße, sondern um eine chronische Unterversorgung von pflegebedürftigen Menschen ging. Darüber hinaus wird kritisiert, dass der Entwurf in seiner bisherigen Fassung keinen Schutz vor Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), die nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind, bietet. Zudem wird das Konzernprivileg, also die Einrichtung einer zentralen Meldestelle im Konzern, teilweise als EU-rechtswidrig angesehen.
 
Unternehmen sollten sich nun rechtzeitig um die Einrichtung professioneller Compliance-Strukturen kümmern, um bußgeldrelevante und nicht zuletzt rufschädigende Meldungen durch eine hinweisgebende Person über externe Meldekanäle zu verhindern.
Ist ein Hinweisgebersystem innerhalb eines Compliance-Management-Systems bereits vorhanden, sollten Unternehmen dieses im Hinblick auf die Vorgaben der EU-Richtlinie anpassen, damit sie den neuen Dokumentations- und Informationspflichten nachkommen und somit Rechtsunsicherheiten vermeiden können.

Auch mittelständische und kleinere Unternehmen müssen ihren Verpflichtungen nachkommen. Für diese kann es sich insbesondere anbieten, eine Meldesystem mit einem Ombudsmann von außen zu implementieren. Gerne beraten wir Sie bezüglich aller mit dem zu erwartenden Inkrafttreten des Gesetzes einhergehenden unternehmerischen Verpflichtungen und Risiken und unterstützen Sie fachkundig bei den zu treffenden Maßnahmen.