Montag, 02.11.2020

Der Betriebsrat kann zur Durchführung einer audiovisuellen Betriebsversammlung verpflichtet sein


Ein Beitrag von Jana Ross
 
Der Gesetzgeber beschloss im Mai 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie unter anderem eine Änderung der Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) dahingehend, dass virtuelle(s) Arbeiten bzw. Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen ermöglicht wurden. Dies gilt zunächst (noch) befristet bis zum Jahresende.
 
Das Arbeitsgericht Iserlohn hatte sich infolgedessen mit der Frage zu befassen, ob der Betriebsrat sogar verpflichtet sein kann, eine audiovisuelle Betriebsversammlung anstelle einer Präsenzveranstaltung durchzuführen. Mit Beschluss vom 08.09.2020 (Az. 2 BVGa 5/20) bejahte das Arbeitsgericht diese Frage.
 
Betriebsrat besteht auf Durchführung einer Präsenzveranstaltung mit Hygienekonzept
 
Zu diesem Ergebnis kam das Arbeitsgericht aufgrund des folgenden Sachverhalts: Die Arbeitgeberin ist eine orthopädische und unfallchirurgische Spezialklinik mit etwa 340 - 360 Mitarbeitern. Im Juni 2020 wandte sich der Betriebsrat an die Arbeitgeberin und bat um Zusage der Kostenübernahme für die Durchführung einer Betriebsversammlung am 30.06.2020. Er teilte mit, dass er hierfür Räumlichkeiten in Form einer Schützenhalle aufgetan habe, in denen eine Betriebsversammlung mit bis zu 170 Teilnehmern unter Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln durchführbar wäre. Die Arbeitgeberin bat um erneute Überprüfung der sicheren Durchführbarkeit einer Präsenzveranstaltung in der aktuellen Pandemielage und regte an, die in § 129 BetrVG neu geschaffene Möglichkeit der audiovisuellen Betriebsversammlung in Betracht zu ziehen, wofür man die erforderlichen technischen Einrichtungen bereitstellen würde. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin auf, ein Konzept für eine audiovisuelle Betriebsversammlung auszuarbeiten und vorzulegen. Auf die Ablehnung dessen durch die Arbeitgeberin mit dem Hinweis, dass dies Aufgabe des Betriebsrats sei, leitete der Betriebsrat das einstweilige Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht ein mit dem Antrag auf Zahlung des begehrten Kostenvorschusses für die vorgeschlagenen Räumlichkeiten.
 
Interessenabwägung erforderlich
 
Einen solchen Anspruch des Betriebsrats sah das Arbeitsgericht nicht. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Möglichkeit der audiovisuellen Durchführung der Betriebsversammlung nicht etwa subsidiär zu derjenigen der Präsenzveranstaltung zu bewerten. Der Gesetzgeber habe eine Einschränkung ausdrücklich nur dahin vorgenommen, dass sichergestellt werden müsse, dass bei der Durchführung der Betriebsversammlung mittels audiovisueller Einrichtungen nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Weitere Voraussetzungen, wie beispielsweise, dass kein geeigneter Raum zur Verfügung steht, hat der Gesetzgeber gerade nicht festgelegt. Welcher der Durchführungswege zu wählen sei, müsse vielmehr immer Ergebnis eine Interessenabwägung sein, welche sowohl die Interessen des Gesundheitsschutzes als auch die betrieblichen und finanziellen Interessen des Arbeitgebers berücksichtigt. Eine solche Interessenabwägung hatte der Betriebsrat aber offenbar nicht durchgeführt. Neben dem Argument, dass es dem Arbeitgeber – der für eine audiovisuelle Betriebsversammlung seine volle Unterstützung von Beginn an zugesagt hatte – nicht zumutbar wäre, das Risiko einer Infektion auf der Betriebsversammlung und damit einer Quarantäne des Großteils seiner Klinik-Belegschaft einzugehen, zog das Arbeitsgericht noch ein weiteres Argument zur Begründung seiner Auffassung heran. Bei einem Betrieb mit mindestens 340 Mitarbeitern sei es schon nicht sachgerecht, wenn der Betriebsrat unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln eine Teilnahme an der Betriebsversammlung in den von ihm vorgeschlagenen Räumlichkeiten von nur maximal 170 Mitarbeitern gewährleisten könne, mithin nur 50 % der Belegschaft. Zwar sei für die Beschlussfähigkeit eine Mindestteilnehmerzahl nicht vorgeschrieben, es müsse aber für den überwiegenden Teil der Belegschaft zumindest die Möglichkeit der Teilnahme bestehen. Damit leide das Konzept des Betriebsrats schon ungeachtet der unterbliebenen Interessenabwägung an gravierenden Mängeln.
 
Betriebsrat hat Beschwerde eingelegt
 
Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt. Auch in dem nun vor dem LAG Hamm (Az. 13 TaBVGa 16/20) anhängigen Beschwerdeverfahren werden wir die Arbeitgeberin vertreten und die zutreffende Entscheidung des Arbeitsgerichts weiter begründen.