Freitag, 22.04.2022

Das EU-Lieferkettengesetz – Weitergehende (Sorgfalts-)Pflichten der Unternehmen für eine nachhaltigere Wirtschaft werden kommen

Ein Beitrag von Lars Wenning und Sonja Ruland

Der folgende Beitrag knüpft inhaltlich an unseren Beitrag zum nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz) vom 22.03.2021 an.

Dieses bereits im vergangenen Sommer verabschiedete Gesetz wird zum 01.01.2023 in Kraft treten und beinhaltet bereits Regelungen zum Schutz der Umwelt sowie der Menschen- und Kinderrechte entlang globaler Lieferketten. Gleichwohl sind die bis dato in den Mitgliedssaaten der Europäischen Union verabschiedeten Gesetze, zu welchen unter anderem das vorbezeichnete Lieferkettengesetz gehört, nach der Einschätzung der Europäischen Kommission noch unzureichend, um die verfolgten Ziele des Schutzes der Menschenrechte sowie der Umwelt zu erreichen. Sofern Unternehmen bereits Eigeninitiative ergriffen haben, beschränken sich diese regelmäßig auf das unmittelbar vorgelagerte Glied in der Lieferkette.

EU-Kommission: Bereits verabschiedete nationale Regelungen sowie etwaige freiwillige Maßnahmen der Unternehmen reichen nicht aus

Aus diesem Grunde hat die EU-Kommission unter dem 23.02.2022 einen neuen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (kurz: EU-Lieferkettengesetz/Richtlinienvorschlag) angenommen. Sinn und Zweck des EU-Lieferkettengesetzes ist die Förderung nachhaltigen sowie verantwortungsvollen unternehmerischen Verhaltens in allen globalen Wertschöpfungsketten. Unternehmen sollen zukünftig verpflichtet werden, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte und die Umwelt nicht nur zu identifizieren, sondern darüber hinaus auch zu verhindern und abzustellen. Der Vorschlag zielt ganz ausdrücklich darauf ab, neue Nachhaltigkeitsverpflichtungen für Unternehmen zu implementieren. Die Europäische Kommission verspricht sich hiervon insbesondere Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen innerhalb der Europäischen Union einerseits und mehr Transparenz für Verbraucher und Anleger andererseits. Im Rahmen des hiesigen Beitrags sollen die wesentlichsten Neuerungen und Abweichungen zum bereits existierenden nationalen Lieferkettengesetz skizziert werden.

Persönlicher Anwendungsbereich: Welche Unternehmen sollen verpflichtet werden? 

Das deutsche Lieferkettengesetz wird ab dem 01.01.2023 zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gelten, bevor im Jahre 2024 auch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten erfasst und verpflichtet sein werden.

Der neue Gesetzesvorschlag der EU-Kommission differenziert bzgl. EU-Unternehmen – hierbei handelt es sich um solche, die in der EU gegründet worden sind – zwischen zwei Gruppen:

Unter Gruppe I fallen EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung (in Deutschland also: (europäische) Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung) mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens € 150 Mio. weltweit.

Gruppe II wiederum unterfallen andere EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in bestimmten sog. ressourcenintensiven Branchen der Textilindustrie, der Landwirtschaft sowie dem Mineralienabbau tätig sind und die zwar nicht beide Schwellenwerte der Gruppe I erfüllen, jedoch zumindest mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens € 40 Mio. weltweit haben. Dieser Umsatz muss dabei in Höhe von 50% mit der unternehmerischen Tätigkeit aus der Risikobranche erzielt werden. Hintergrund dessen ist, dass in den vorgenannten ressourcenintensiven Branchen das Risiko von Ausbeutung und Umweltzerstörung höher ist.

In Drittstaaten gegründete Unternehmen (Gruppe III), die in der Europäischen Union tätig sind, werden nach Maßgabe des EU-Lieferkettengesetzes verpflichtet, wenn sie einen Nettoumsatz innerhalb der EU generieren, der dem der Gruppen I oder II entspricht, und zwar unabhängig von ihrer Rechtsform.

Kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Beschäftigten hingegen fallen – jedenfalls vorerst – nicht in den direkten Anwendungsbereich des Vorschlags, jedoch mittelbar, da sie natürlich ebenfalls den jeweiligen Wertschöpfungsketten angehören.

Das deutsche Lieferkettengesetz setzt mithin deutlich mehr Beschäftigte voraus, ist dafür jedoch branchenübergreifend und umsatzunabhängig, während der Richtlinienvorschlag zwar deutlich weniger Beschäftigte vorsieht, dafür jedoch (Mindest-)Umsatzschwellen beinhaltet. Die EU-Kommission geht davon aus, dass ca. 13.000 Unternehmen innerhalb der Europäischen Union und ca. 4.000 Unternehmen aus Drittstaaten vom Anwendungsbereich des EU-Lieferkettengesetz erfasst sein werden. Die Pflichten werden auch für alle Tochtergesellschaften des jeweiligen Unternehmens/Konzerns und die gesamten Wertschöpfungsketten (direkte und indirekte Geschäftsbeziehungen) gelten. Auch dies ist beim deutschen Lieferkettengesetz noch anders, da die dortigen Sorgfaltspflichten nicht die gesamte(n) Lieferkette(n) betreffen.

Begrüßenswert ist insofern sicherlich, dass mit dem Richtlinienvorschlag eine rechtliche Fragmentierung innerhalb der EU verhindert würde, was insbesondere für EU-weit tätige Unternehmen von Relevanz ist. Denn der Anwendungsbereich der bisher existierenden bzw. geplanten nationalen Gesetze variiert.

Pflichten: Wozu sollen Unternehmen künftig konkret verpflichtet werden?

Verpflichtete Unternehmen müssen nach dem Richtlinienvorschlag, der über die bislang in dem Pflichtenkatalog des deutschen Lieferkettengesetzes festgelegten Pflichten hinausgeht, zukünftig insbesondere:

- die Sorgfaltspflicht zum integralen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen;
- tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die  Umwelt identifizieren;
- potenzielle Auswirkungen verhindern oder abschwächen,
- tatsächliche Auswirkungen abstellen oder sie auf ein Minimum reduzieren;
- ein Beschwerdeverfahren einrichten;
- die Wirksamkeit der Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht       kontrollieren und
- öffentlich über die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht kommunizieren.

Unternehmen der Gruppe I sowie der Gruppe III, die Umsätze auf dem Niveau der Gruppe I erreichen, werden darüber hinaus verpflichtet, einen Plan zu entwickeln, mit dem sichergestellt wird, dass das Geschäftsmodell sowie die Strategie ihres Unternehmens mit dem Ziel des Pariser Abkommens, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, vereinbar ist. Ferner sieht der Richtlinienvorschlag eine variable Vergütung für Führungskräfte als Anreiz dafür, zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen, vor. Mit dem EU-Lieferkettengesetz in seiner derzeitigen Fassung ginge folglich im Ergebnis eine nicht unerhebliche Erweiterung der Sorgfaltspflichten –insbesondere im Hinblick auf den Klimaschutz – aufseiten der Unternehmer einher. 

Bereits jetzt ist abzusehen, dass die betroffenen Unternehmen ihre Compliance Systeme werden nachschärfen und sorgfältig die Einhaltung der Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette dokumentieren werden müssen. Neben der Verpflichtung zur Dokumentation und Berichterstattung in den Abschlüssen werden die Unternehmen auch aufzuzeigen haben, dass sie geeignete Maßnahmen getroffen haben, um etwaige negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu identifizieren, abzustellen oder zumindest zu reduzieren. Bei zukünftigen langfristigen Rahmenvereinbarungen mit Lieferanten, Sub-Unternehmen und Handelspartnern ist es daher ratsam, sich bereits jetzt entsprechende Inspektions- und Auditrechte sowie Sonderkündigungsrechte vorzubehalten und Informations- und Dokumentationspflichten zu implementieren.

Zudem werden sich die Haftungsrisiken für die Unternehmensleitung verschärfen. Der Richtlinienvorschlag spricht die Verantwortung der Unternehmensleitung für Menschenrechte und Umweltbelange deutlich konkreter an als das nationale Lieferkettengesetz. Die Unternehmensleitung muss die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Angelegenheiten der Nachhaltigkeit, einschließlich Menschenrechten, Klimawandel und Umweltauswirkungen, berücksichtigen. Unter bestimmten Umständen ist die Erreichung dieser Ziele bei Festsetzung von Boni und anderen variablen Vergütungsmodellen zu berücksichtigen.

Haftung: Was droht den Unternehmen bei etwaigen Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten?

Zu unterscheiden sind behördliche/staatliche Sanktionen einerseits sowie zivilrechtliche Ansprüche Geschädigter andererseits. Der Richtlinienvorschlag sieht insofern vor, dass die EU-Mitgliedsstaaten selbst eine Aufsichtsbehörde benennen, die entsprechende Sanktionen – zu nennen sind hier insbesondere umsatzbezogene Geldbußen sowie Befolgungsanordnungen – erlassen kann. Ferner ist die Einrichtung eines EU-weiten Netzes der nationalen Aufsichtsbehörden vorgesehen.

Die wohl wesentlichste Änderung zum deutschen Lieferkettengesetz ist, dass nunmehr explizit auch eine zivilrechtliche Haftung geregelt ist für den Fall, dass eine vom Unternehmen verletzte Sorgfaltspflicht zu einer kausalen nachteiligen Umwelt- oder Menschenrechtsauswirkung führt, welche durch eine ordnungsgemäße Erfüllung der entsprechenden Sorgfaltspflicht(en) hätte verhindert werden können. Insbesondere dieses zivilrechtliche Haftungsinstitut wird daher voraussichtlich noch im Wege eines Transformationsaktes in das deutsche Lieferkettenrecht zu implementieren sein.  Wie und in welcher Form der deutsche Gesetzgeber diese EU-Vorgaben allerdings genau in einem nationalen Gesetz umsetzen wird, bleibt indes abzuwarten.

Ausblick: Wie geht es weiter?

Es handelt sich zunächst einmal noch „nur“ um einen Entwurf, welcher nun dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat vorgelegt werden wird, wo auch die deutsche Bundesregierung über den Entwurf (mit-)verhandelt. Im Falle einer Annahme – Änderungen des Entwurfs sind noch denkbar – werden die Mitgliedsstaaten dann zwei Jahre Zeit haben, um die europäischen Richtlinienvorgaben in nationales Recht – in Deutschland etwa durch Anpassung des bereits vorhandenen Lieferkettengesetzes – umzusetzen. Für Unternehmen mit einem weltweiten Umsatz von € 150 Mio. werden bereits zum Ablauf der Umsetzungsfrist die Sorgfaltspflichten umzusetzen sein; bzgl. der Unternehmen aus den Risikobranchen mit einem Umsatz von nur € 40 Mio. müssen die Pflichten erst zwei Jahre später in Kraft treten.

Auch ein Importverbot von Produkten, die aus Zwangsarbeit hervorgehen, soll zukünftig – jedoch im Wege eines separaten Rechtsakts – eingeführt werden. Dies geht aus der Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23.02.2022 über menschenunwürdige Arbeit weltweit hervor.

Bis zur Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes durch den Bundesgesetzgeber wird zunächst einmal das zum 01.01.2023 in Kraft tretende nationale Lieferkettengesetz zur Anwendung kommen.

Wir werden Sie gleichwohl auch und insbesondere hinsichtlich der aktuellen Entwicklung(en) auf europäischer Ebene auf dem Laufenden halten.