Montag, 20.04.2020

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf laufende Bauvorhaben

Ein Beitrag von Lionel Patting
 
Die Corona-Pandemie wirkt sich umfassend auf das öffentliche Leben, auf die Wirtschaft und auch auf derzeit laufende und geplante Bauvorhaben aus. Dieser Beitrag beleuchtet die Auswirkungen im Baurecht.
 
Herausforderungen für Unternehmer und Auftraggeber
 
Die Ausbreitung des Corona-Virus kann Quarantäne-Maßnahmen, Ausfälle von Mitarbeitern sowie Probleme bei der Materialbeschaffung und -belieferung zur Folge haben und damit den Unternehmer treffen. Ebenso sind Umstände denkbar, die in den Einflussbereich und die Einflusssphäre des Auftraggebers fallen. Im Falle der Nichterreichbarkeit der Baustelle vor Baubeginn, könnte der Auftraggeber nämlich kein baureifes Grundstück zur Verfügung stellen.
 
Dem Unternehmer das für seine Leistung "aufnahmebereite" Baugrundstück zur Verfügung zu stellen, gehört zu den wichtigsten und elementaren Mitwirkungspflichten des Bestellers. Zu diesen Pflichten gehört es, dem Auftragnehmer Zugang bzw. Zufahrt zum Grundstück zu ermöglichen sowie Lager- und Arbeitsplätze und die erforderlichen Anschlüsse (bspw. Wasser und Strom) bereitzustellen. Wird die Aufnahme der Bautätigkeit aufgrund fehlender Mitwirkung des Auftraggebers verzögert, entstehen dem Auftragnehmer hohe Kosten, wenn und soweit dieser Geräte, Materialien und Personal bereithalten musste. Für den Ersatz der Kosten, die dem Auftragnehmer durch die nutzlose Wartezeit entstehen, sieht § 642 BGB eine verschuldensunabhängige, angemessene Entschädigung für den Auftragnehmer vor.
 
Entschädigung für nutzlose Bereithaltung von Produktionsmitteln
 
Es ist allerdings in Rechtsprechung und Literatur umstritten, wie diese Entschädigung berechnet wird. Die Beurteilung hängt davon ab, ob die Entschädigung dafür gewährt wird, dass der Auftragnehmer die vereinbarte Vergütung während des Zeitraums des Annahmeverzugs nicht erwirtschaften konnte oder ob die Entschädigung die unproduktive Bereithaltung von Produktionsmitteln kompensieren soll.
 
Diese Frage hat der BGH mit Urteil vom 30.01.2020 – VII ZR 33/19 dahingehend entscheiden, dass sich die angemessene Entschädigung an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie für Wagnis und Gewinn zu orientieren hat. § 642 BGB soll hingegen keinen vollständigen Ausgleich für die während des Annahmeverzugs nicht erwirtschaftete Vergütung gewähren. Zugleich hat der BGH aber bekräftigt, dass es sich bei dem Anspruch um einen verschuldensunabhängigen Anspruch sui generis handelt.
 
Ist die BGH-Entscheidung auf Ausfälle während der aktuellen Situation übertragbar?
 
Die Entscheidung des BGH ist vor diesem Hintergrund insofern bemerkenswert, als diese einerseits eine erhebliche Einschränkung für den Auftragnehmer beinhaltet, weil dieser Entschädigung nur für die unproduktive Bereithaltung von Produktionsmitteln erhält und nicht die gesamte nicht erwirtschaftete Vergütung als Entschädigung verlangen kann. Allerdings bestätigt der BGH mit dieser Entscheidung zugleich, dass es sich bei diesem Entschädigungsanspruch um einen „verschuldensunabhängigen Anspruch sui generis“ handelt.
 
Da die Entscheidung allerdings bereits vor der Verbreitung des Corona-Virus ergangen ist, bleibt abzuwarten, ob die Gerichte dem Auftragnehmer auch im Falle von Verzögerungen wegen der Corona-Pandemie verschuldensunabhängig Entschädigungsansprüche zusprechen werden, wenngleich sich dafür Argumente finden lassen.  
 
Maßgeblich hierfür wird sein, ob die Corona-Pandemie als ein Fall höherer Gewalt – entweder auf Seiten des Auftraggebers oder auf Seiten des Auftragnehmers – zu qualifizieren ist. Im Falle von höherer Gewalt kann es bspw. am Annahmeverzug des Auftraggebers und damit an den Voraussetzungen des § 642 BGB fehlen. Vorbehaltlich anderslautender Vereinbarungen besteht nämlich nach der Rechtsprechung keine Obliegenheit des Auftraggebers, äußere Einwirkungen in Form von schlechtem Wetter (bspw. Frost, Eis und Schnee) von dem zur Verfügung gestellten Baugrundstück abzuwehren. Ob das aber auch gilt, wenn das Baugrundstück erst gar nicht zur Verfügung gestellt werden kann (bspw. aufgrund behördlicher Quarantäne-Auflagen etc.), ist fraglich.
 
Praxistipp
 
Auftragnehmer sollten detailliert dokumentieren, wann und wie lange welche Produktionsmittel (Maschinen, Geräte, Fahrzeuge) während des Annahmeverzugs nutzlos vorgehalten wurden.
Für Auftraggeber kann es empfehlenswert sein, mit dem Auftragnehmer Vereinbarungen zur Kompensierung der Kosten für die unproduktive Bereithaltung der Produktionsmittel zu treffen.