Montag, 22.06.2020

Arbeitgeber haftet für geringeres Elterngeld aufgrund verspäteter Lohnzahlung

Ein Beitrag von Jana Ross

Das LAG Düsseldorf hat mit Urteil vom 27.05.2020 (Az. 12 Sa 716/19) entschieden, dass ein Arbeitgeber, der schuldhaft Löhne verspätet auszahlt, für hieraus folgende Schäden gegenüber dem Arbeitnehmer einzustehen hat.

Hintergrund: Anfechtung eines Arbeitsvertrages wegen (vermeintlich) verschwiegener Schwangerschaft führt zu Schäden bei der Höhe des Elterngeldes

Ein Zahnarzt stellte die Klägerin Anfang September 2017 als zahnmedizinische Fachangestellte in seiner Praxis ein. Kurz darauf wurde die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin festgestellt. Als der Arbeitgeber hiervon erfuhr, schickte er sie nach Hause und verwies sie an seinen Betriebsarzt. Dieser stellte ein betriebliches Beschäftigungsverbot aufgrund des möglichen Kontakts zu Gefahrstoffen fest. Parallel lies der Arbeitgeber durch seinen Rechtsanwalt die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Verschweigens der (angeblich) bereits bei Vertragsschluss bekannten Schwangerschaft erklären. Ab diesem Zeitpunkt zahlte der Arbeitgeber keine Gehälter bzw. Mutterschutzlöhne mehr aus. Die Arbeitnehmerin erhob Klage auf Feststellung, dass die Anfechtung das Arbeitsverhältnis nicht beendete sowie auf Zahlung der ausstehenden Mutterschutzlöhne seit September 2017. Am 11.01.2018 fand der Kammertermin vor dem Arbeitsgericht statt. Das Gericht wies darauf hin, dass die Anfechtung das Arbeitsverhältnis nicht beendet haben dürfte. Die Parteien einigten sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung der rückständigen Mutterschutzlöhne für September bis einschließlich Dezember 2017. Der Arbeitgeber behielt sich die Widerrufsmöglichkeit bis zum 09.03.2018 vor, um mit der Krankenversicherung Rücksprache über die Erstattung der Mutterschutzlöhne im Rahmen des Umlageverfahrens (U2) halten zu können. Die Auszahlung der rückständigen Mutterschutzlöhne erfolgte Anfang März, nachdem der Vergleich nicht widerrufen wurde.

Nachträglich ausgezahlter Lohn ist nicht immer „Arbeitslohn“

Hieraus ergab sich für die Berechnung des Elterngeldes jedoch folgende Problematik: Das Kind der Arbeitnehmerin wurde im Mai 2018 geboren. Für die Berechnung des Elterngeldes wird der Arbeitslohn der letzten 12 Monate vor der Geburt des Kindes zugrunde gelegt. Nach der Rechtsprechung des BSG aus Dezember 2017 hat die Elterngeldstelle bei der Berechnung des Elterngeldes jedoch ausschließlich „laufenden Arbeitslohn“ im steuerrechtlichen Sinne, nicht jedoch „sonstige Bezüge“ zu berücksichtigen. Das Lohnsteuerverfahren für das Vorjahr endet drei Wochen nach Jahresende. Steuerrechtlich waren die Nachzahlungen der Mutterschutzlöhne im März 2018 daher nicht als „laufender Arbeitslohn“ zu bewerten, sondern als „sonstige Bezüge“ mit der Folge, dass sie bei der Berechnung des Elterngeldes nicht berücksichtigt wurden. Die Arbeitnehmerin erhielt in der Folge ein um knapp 100,00 € monatlich geringeres Elterngeld.

Arbeitgeber muss Elterngelddifferenz tragen

Diesen Schaden hat der Arbeitgeber nach dem Urteil des LAG Düsseldorf zu ersetzen. Ein Vertragsteil, der eine vertragliche Pflicht schuldhaft verletzt, hat dem anderen Teil den sich hieraus ergebenden Schaden zu erstatten. Hauptpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ist die Lohnzahlung. Diese hat der Arbeitgeber für die Zeit von September bis Dezember 2017 nicht erbracht. Dies geschah nach Auffassung des LAG auch schuldhaft, weil die Klägerin eine Kopie des Mutterpasses vorgelegt und der Betriebsarzt ein Beschäftigungsverbot festgestellt hat. Die Anfechtung des Arbeitsvertrages aufgrund der zuvor nicht mitgeteilten Schwangerschaft ist nach den Feststellungen des LAG Düsseldorf unwirksam.

Arbeitnehmerin trifft ein Mitverschulden wegen gütlicher Einigung

Nach Auffassung des LAG Düsseldorf ergab sich in diesem Fall eine Einschränkung jedoch aus dem vorbehaltenen Widerruf des Vergleichs vom 11.01.2018. Wäre der Vergleich nicht widerruflich geschlossen worden, hätten die Nachzahlungen noch im Rahmen der 3-Wochen-Frist zu Beginn des Jahres, d. h. vor Abschluss des Lohnsteuerabzugsverfahrens erfolgen können und hätte die Klägerin keinen Nachteil erlitten. Daher hat das LAG Düsseldorf vorliegend ein Mitverschulden angenommen, da die Klägerin nach Ansicht des Gerichts durch ihre Zustimmung zu dem Vergleich mit einer verhältnismäßig langen Widerrufsfrist eine Mitursache für den Schadenseintritt gesetzt und sich daher zu 30 % an dem Schaden zu beteiligen hat.
Der Arbeitgeber ist außerdem und ebenfalls zu 70 % zur Erstattung der Steuerberaterkosten verurteilt worden, die erforderlich waren, um den anrechenbaren Steuervorteil für den Ersatzanspruch aus der verspäteten Elterngeldzahlung zu errechnen.

Revision zugelassen

Das LAG Düsseldorf hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Nach Vorliegen der Entscheidungsgründe – derzeit liegt nur die Pressemitteilung vor – werden wir gemeinsam mit der von uns vertretenen Klägerin entscheiden, ob Revision eingelegt wird. Damit könnte die Annahme des Mitverschuldens einer höchstrichterlichen Überprüfung zugeführt werden, die nur schwer nachvollziehbar ist, weil die Klägerin auf den Auszahlungszeitpunkt keinen Einfluss hatte und auch der Arbeitgeber sich den Widerruf des Vergleichs vorbehalten hat. Die Argumentation des LAG Düsseldorf fußt damit allein auf einer hypothetischen Annahme, die im Sachverhalt kaum begründet ist, weil sie voraussetzen würde, dass der Arbeitgeber zum einen den Vergleich ohne Widerrufsmöglichkeit geschlossen und dann noch eine sofortige Auszahlung veranlasst hätte.