Montag, 24.10.2016

EuGH kassiert deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 19.10.2016 entschieden, dass die bislang in Deutschland geltende Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten gegen Unionsrecht verstößt. Die deutsche Regelung erschwere Erzeugnissen aus anderen Mitgliedsstaaten den Zugang zum deutschen Markt, so dass der freie Warenverkehr in unzulässiger Weise beschränkt werde.
 
Eine deutsche Selbsthilfeorganisation, welche die Lebensumstände von Parkinson-Patienten verbessern möchte, hat mit einer niederländischen Versandapotheke ein Bonussystem ausgehandelt, das ihre Mitglieder in Anspruch nehmen können, wenn sie bei der Apotheke verschreibungspflichtige Parkinson-Medikamente kaufen. Der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ist in Deutschland nicht mehr gesetzlich untersagt.
Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vertrat die Ansicht, dass dieses Bonussystem gegen die deutsche Regelung verstößt, die einen einheitlichen Preis für verschreibungspflichtige Medikamente vorschreibt. Das Landgericht Düsseldorf schloss sich dieser Auffassung an und untersagte der deutschen Parkinson-Vereinigung, das Bonussystem bei ihren Mitgliedern zu bewerben. Diese griff die Untersagung daraufhin vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf an, welches seinerseits den Europäischen Gerichtshof mit der Frage befasst hat, ob die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit dem freien Warenverkehr vereinbar ist.
 
Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass die deutsche Regelung eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des freien Warenverkehrs darstellt, weil die Festlegung der einheitlichen Abgabepreise sich auf die in anderen Mitgliedsstaaten ansässigen Apotheken stärker auswirke, so dass für Erzeugnisse aus anderen europäischen Mitgliedsstaaten der Zugang zum deutschen Markt stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse.
Die deutsche Preisbindung ist also für ausländische Versender nicht bindend, wenn diese rezeptpflichtige Medikamente an Kunden in Deutschland verkaufen und verschicken.
 
Der Versandhandel stellt für ausländische Apotheken ein wichtiges bzw. sogar das einzige Mittel dar, um einen direkten Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Zudem sei der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für die traditionellen Apotheken, die besser in der Lage seien, Patienten durch Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen.
Es sei zwar so, dass eine Beschränkung des freien Warenverkehrs grundsätzlich mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden könne, doch das deutsche Arzneimittel‑Preisrecht sei zur Erreichung dieser Ziele nicht geeignet. Der Europäische Gerichtshof sah es insbesondere als nicht nachgewiesen an, dass durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden könne. Vielmehr äußerte der Europäische Gerichtshof die Vermutung, dass Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern würde, da Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.
Darüber hinaus konnte der Europäische Gerichtshof keine Belege dafür erkennen, dass sich die Versandapotheken ohne die deutsche Preisbindung einen Preiswettbewerb liefern könnten, so dass elementare Leistungen, wie beispielsweise die Notfallversorgung in Deutschland, nicht mehr zu gewährleisten wären, da die Zahl der Präferenzapotheken geringer werden würde. Traditionelle Apotheken könnten durch Wettbewerbsfaktoren, wie die persönliche Beratung der Kunden vor Ort, weiterhin konkurrenzfähig bleiben. Zudem sieht der EuGH durch den Preiswettbewerb Vorteile für die Patienten, weil ihnen die Möglichkeit eröffnet würde, verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland zu günstigeren Preisen zu erwerben.